08 - Old Surehand II
glauben. Mein Haar, und eine Locke! Wirklich zum Lachen! Ich besitze nämlich einen wahren, dichten Urwald von Haaren; man kann mich, was ich oft geschehen ließ, an denselben packen und in die Höhe ziehen, ohne daß es mich im geringsten schmerzt. Und so dicht wie dieses Haar ist, so dick und stark ist jedes einzelne. Als ich während meiner Schülerzeit mich einmal dem Schermesser eines Leipziger Friseurs anvertraute, rief er nach dem ersten Schnitt, den er tat, ganz erschrocken aus: „Dunner und Sachsen, so was hab ich noch nich erlebt! Das sin schon keene Haare mehr; das sin die reene Borsten!“ Und jetzt bat mich die gute Mutter Thick um eine ‚Locke‘! Wenn sie noch Strähne gesagt hätte! Sie hielt mein Staunen für Einwilligung und lief fort, um eine Schere zu holen.
„Also, ich darf?“ fragte sie dann, mit dem Blick schon diejenige Stelle des Kopfes suchend, welcher die Locke entlockt werden sollte.
„Na, wenn es wirklich Euer Ernst ist, Mutter Thick, so nehmt Euch, was Ihr wollt!“
Ich neigte mein Haupt, und die lockenhungrige Alte – denn sie war über sechzig Jahre – ließ ihre Finger prüfend darüber gleiten. Sie entdeckte den Punkt, wo der Wald am dichtesten war, fuhr mit der Schere in das Unterholz – – – schrrrrr! Es klang, als ob Glasfäden zerschnitten würden, und sie hatte die gewünschte ‚Locke‘. Sie hielt sie mir triumphierend vor das Gesicht und sagte:
„Ich danke Euch herzlich, Mr. Shatterhand! Diese Locke von Euch kommt in ein Medaillon und wird jedem Gast gezeigt, der sie sehen will.“
Ihr Gesicht strahlte vor Vergnügen, das meinige aber nicht, denn das, was sie in der Hand hatte, war keine Locke, auch keine Strähne, sondern ein so dicker Pack von Haaren, daß man zwei dicke Maurerpinsel davon hätte binden können. Ein Medaillon! Sehr niedlich ausgedrückt! Wenn sie diese Haare in eine große Konservenbüchse steckte anstatt in ein Medaillon, so war sie so voll, daß nichts mehr hineinging! Ich fuhr mit der Hand erschrocken nach der Stelle, wo die Schere gewütet hatte; sie war kahl, vollständig kahl; ich fühlte eine Platte, die so groß wie ein silbernes Fünfmarkstück war. Diese schreckliche Mutter Thick! Ich stülpte mir schleunigst den Hut auf den Kopf und habe mir seitdem nie wieder eine Locke vom Haupt schneiden lassen, weder von einer Mutter, noch von einer Tochter!
Nach diesem Verlust wurde mir der Abschied von der braven Wirtin und Medailloneuse leichter, als ich ihn mir vorgestellt hatte, und ich suchte mir, auf dem Steamer angekommen, eine einsame Stelle aus, wo ich ungestört und unbemerkt eine planimetrische Untersuchung anstellen konnte, wie viele oder wie wenige solche Scherenschnitte dazu gehörten, das Haupt eines kriegerischen Westmannes in einen friedlichen Kahlkopf zu verwandeln.
Das Schiff, welches uns an Bord genommen hatte, war nicht einer jener schwimmenden Paläste, an welche man denkt, wenn von einer Mississippi- oder Missourifahrt die Rede ist, sondern ein schweres, plumpes Paketboot, welches von der keuchenden Maschine nur langsam fortgeschleppt werden konnte. Wir brauchten volle fünf Tage bis nach Topeka, wo ich mich in Peter Lebruns Weinstube nach Old Surehand erkundigte. Er war vor drei Tagen hier gewesen. Wir fanden ein gutes Pferd für Treskow und kauften es. Dann ging es fort, hinaus auf die ‚rollende' Prärie, den Republican-River entlang. Der Osten von Kansas ist nämlich sehr hügelig; Bodenwellen, soweit das Auge reicht; das bietet einen Anblick, als ob ein ‚rollendes‘ Meer plötzlich mitten in der Bewegung erstarrt sei; daher die Bezeichnung ‚Rolling-Prairie‘.
Gegen Abend des zweiten Tages erreichten wir Fenners Farm. Wir hatten uns nach ihr erkundigt, denn es gab auf dem Weideland, über welches wir kamen, eine Menge Cowboys, welche die Herden beaufsichtigten. Fenner war ein freundlicher Mann, der uns zwar erst mißtrauisch betrachtete, dann aber, als ich Old Surehands Namen nannte, uns einlud, seine Gäste zu sein.
„Ihr dürft euch nicht wundern, Mesch'schurs“, sagte er, „daß ich euch nicht gleich willkommen hieß; es kommen gar verschiedene Leute hier ins Land. Erst vorgestern lagerten bei mir sieben Kerle, die ich gastfreundlich aufnahm; aber als sie früh fort waren, fehlten mir sieben Stück meiner besten Pferde. Ich ließ sie verfolgen, doch konnten sie nicht eingeholt werden, weil ihr Vorsprung zu groß war und weil sie mir eben grad die besten Pferde genommen hatten.“
Er mußte
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