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erzählt.
Wie beinahe niemand mehr mit ihr geredet hatte.
Wie groß die Angst des Rudels vor ihr gewesen war, weil sie sich gefragt hatten, ob sie das, was sie vorhersah, verschweigen würde. Wenn sie in der Zukunft eines Rudelmitglieds etwas Schlimmes sah, würde sie es ihm sagen?
Oder würde sie es für sich behalten?
Sie hatte uns auch erzählt, dass das Rudel erleichtert reagierte, als sie erfuhren, dass sie nicht zurückkommen würde. Sie hatten sie überhaupt nicht vermisst oder sich Sorgen um sie gemacht.
Nein, sie waren tatsächlich erleichtert gewesen. Und jetzt wollten sie, dass ich mich rechtfertigte. Das machte mich wütend.
Jessica schüttelte den Kopf. „Ich möchte nicht in deiner Haut stecken, Bets.
Aber deine Schuhe sind hübsch", fügte sie hinzu und beäugte meine Pumps.
„Von mir aus können sie mit mir machen, was sie wollen", murmelte ich.
„Aber wenn sie mir die Schuhe verhunzen, dann wird meine Rache fürchterlich sein.
„Mensch." Ich küsste Baby Jon auf seinen süßen Kopf. „Jetzt fühle ich mich schon etwas sicherer."
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Wyndham Manor, hatte ich gehört, war nicht nur das Hauptquartier der Werwölfe und ihr Machtsitz, hier wohnten auch rund ein Dutzend Rudelmitglieder. Und es war offenbar erbaut worden, um große Gruppen zu beherbergen, denn der Gottesdienst wurde in einem lagerhallengroßen Raum abgehalten, ohne dass sich jemand beengt fühlen musste. Ich vermutete, dass er als Ballsaal genutzt wurde - dann natürlich ohne Sarg.
Erst ergriff Michael kurz das Wort, dann sprach der Pfarrer (ein presbyterianischer Werwolfpfarrer!), und anschließend defilierten die Anwesenden an dem Sarg vorbei, zweifellos um Antonia die letzte Ehre zu erweisen.
Ich hatte sofort bemerkt, dass sie sie in einen sehr viel schöneren Sarg umgebettet hatten - schimmernd wie polierter Gagat und ebenso schwarz. Ein riesiger Strauß weißer Callas bedeckte fast den ganzen Deckel. Ich fragte mich, was sie wohl mit dem alten gemacht hatten, dem, den Derik zerstört hatte. Dann entschied ich, dass dies a) ein makabrer Gedanke war und es mich b) nichts anging.
Wenigstens war Jessica nicht hier. Mir war es recht so - wenn ich wusste, wo sie war, musste ich mir keine Sorgen um sie machen.
Baby Jon lag eng an meine Schulter geschmiegt, den Daumen fest im Mund, und sah sich mit leuchtenden Augen interessiert um. Ich versuchte so zu tun, als würde er nicht auf den Aufschlag meiner Ann-Taylor-Kostümjacke sabbern.
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Komischerweise war es Sinclairs Idee gewesen, ihn zu Antonias Beerdigung mitzunehmen. Es war das erste Mal, dass mein Mann so etwas vorgeschlagen hatte. Nicht genug damit, dass ich immer noch um Antonia trauerte und zugleich um uns Angst hatte, zu allem Überfluss machte ich mir nun auch Gedanken über die Motive meines Gatten.
Als die Anwesenden sich erhoben, stand ich nicht auf. Ich hatte ihr bereits die letzte Ehre erwiesen. Ich hatte sie beweint, ihr Rudel angerufen, ihnen das Undenkbare mitgeteilt und sie nach Hause geflogen. Das war mehr, als ich für meinen eigenen Vater getan hatte.
„Hallo? Du bist Betsy, richtig?"
Ich sah auf und hätte beinahe nach Luft geschnappt. Eine der umwerfendsten Frauen, die ich je gesehen hatte, stand vor mir - mit einem enormen Babybauch.
„Ah, ja." Ich legte den einen Arm fester um Baby John und streckte den anderen aus. „Betsy Taylor."
„Die berüchtigte Königin der Toten." Aber ihre blauen Augen guckten freundlich, und sie lächelte. Ihr Haar lag wie eine rotbraune Wolke um ihren Kopf. „Ich bin Sara, Deriks Frau."
„Königin der Untoten", korrigierte ich sie. „Und ja, das bin ich. War Antonia eine Freundin von dir? Muss sie wohl. Sie und dein Mann standen sich sehr nahe, das habe ich zumindest gehört. Was ihr passiert ist, tut mir sehr leid."
„Danke." Sara schob sich auf den Stuhl neben mir und massierte sich den unteren Rücken. „Aber wir waren nicht befreundet. Ich konnte sie nicht ausstehen."
Ich starrte sie an. Lange. Ich verspürte zu gleichen Teilen Bewunderung und Entsetzen. Sara traute sich was, ausgerechnet hier schlecht von der Toten zu sprechen. Aber sie sagte die Wahrheit, und das bewunderte ich sehr.
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„Sie war schon ganz schön grantig", gab ich zu. „Du bist, äh . . kein Werwolf.
Oder?" „Nein, nein."
„Dann ist Jeannie also nicht der einzige Mensch im Rudel?" „Nein, ist sie nicht. Obwohl ich genau genommen kein Mensch bin", sagte sie. „Oh."
„Ich bin die Reinkarnation der Zauberin Morgan
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