0831 - Leichen frei Haus
prallen.
Nach zwei Sekunden stoppte die Schiene, der Prototyp raste von allein vor, er behielt die Geschwindigkeit bei, und drei Augenpaare beobachteten ihn fieberhaft.
Obwohl die Strecke nur kurz war, die er zurücklegen mußte, kam sie den Wissenschaftlern immer lang vor, und sie erlebten sie mit wie im Zeitlupentempo.
Wie immer, so hatte sich Iris Long auch an diesem Tag auf den Toten konzentriert. Sie wollte auch herausfinden, ob sich die Leiche während der Fahrt von allein bewegte und ihre Kraft einsetzte, um den Arm abermals anzuheben, aber da war nichts zu erkennen. Sie hing nach wie vor im Gurt und überließ sich den anderen Kräften.
Der Aufprall!
Kein Kreischen, kein Platzen von Glas oder Aufstöhnen von Metall. All diese Geräusche wurden von der Scheibe verschluckt, und sie sahen, wie die Motorschnauze platt wurde, wie die Frontscheibe brach und die angeschnallte Leiche in dem Gurt nach vorn und dann wieder zurückflog, mit dem Hinterkopf vor die Kopfstütze prallte und ihren Weg dann in Richtung Lenkrad fand.
Sie kippte nach vorn, aber der Gurt hielt sie fest, und im Hintergrund klatschte Dayton Beifall.
»Das war gut«, lobte er. »Kein Fehler, kein Ausfall; die Kamera hat alles gut aufgezeichnet. Wir werden es uns nachher in Superzeitlupe ansehen können. Das war mal wieder perfekt, wir können uns bejubeln.« Er lief lachend auf seine Kollegen zu, von denen nur Dr. Shephard ein zufriedenes Lächeln zeigte.
Nicht so Dr. Long. Sie stand da, als gehörte sie gar nicht zu ihnen. Die geballten Hände waren hinter dem dünnen Stoff der Kitteltaschen deutlich zu sehen. Die Frau wirkte, als wäre sie mit ihren Gedanken weit, sehr weit fort.
»He.« Slim Dayton packte zu und schüttelte sie. »Das war doch super, Iris. Darauf müssen wir einen Schluck trinken.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Was ist denn los?«
»Laß mich doch in Ruhe!« fauchte die Ärztin. »Begreifst du das denn nicht?«
Dayton winkte heftig ab. »Scheiße, du stellst dich an wie eine dumme Zicke.«
Ein eiskalter Blick traf ihn. So hart, daß selbst er zurückzuckte. »Okay, ich nehme das zurück.«
»Es ist mir egal, ob du etwas zurücknimmst, Slim, es ist mir so scheißegal.«
Dr. Shephard griff ein. »Hört doch endlich auf, euch anzugiften! Das bringt doch nichts. Schließlich arbeiten wir gemeinsam an dieser Aufgabe. Wir haben sie begonnen und führen sie auch zu Ende.«
»Meinetwegen schon«, sagte Dayton. »Aber was ist mit Iris? Sie stellt sich doch so an.«
»Aus gutem Grund«, murmelte sie.
»Hör zu«, sagte Shephard. »Gehst du jetzt mit nach drüben, oder willst du hier warten?«
»Ich gehe mit.«
»Dich interessiert der Tote.«
Iris Long gab eine sehr bedächtige Antwort. »Das stimmt, aber diesmal aus anderen Gründen.« Sie schaute beide Kollegen an. »Ich hoffe nur für uns, daß wir keine böse Überraschung erleben werden.«
»Was meinst du denn damit?«
Iris winkte ab. »Laß es gut sein, Alvin…«
***
Die Stimmung hätte bedrückter nicht sein können, als sie die eine Hälfte der Halle verließen, in den dunkleren Teil mit den geparkten Fahrzeugen gelangten und dort eine Tür aufschlossen, durch die sie in den eigentlichen Versuchsbereich gelangten.
Wie immer herrschte hier ein ungewöhnlicher Geruch. Nach Metall, nach Elektrizität, auch nach Staub, eine Mischung, die man kaum beschreiben konnte.
Heute war noch ein anderer Geruch hinzugekommen. Er fiel der Ärztin zuerst auf. »Riecht ihr es nicht?«
»Was denn?« fragte Dayton, der schon auf dem Weg zum Wagen war und nun stehenblieb.
»Dieser Gestank.«
»Ich rieche nichts.«
»Was ist mit dir, Alvin?«
Shephard hob die Schultern. »Komisch ist es schon, das muß ich zugeben, Iris.«
»Aha.«
»Was heißt denn aha?« rief Dayton. Er stand dicht davon, sich aufzuregen.
»Erkläre du es ihm, Alvin.«
»Das kann ich nicht, das ist nicht möglich. Ich glaube jedenfalls, daß Iris recht hat, was diesen neuen Geruch angeht. Er ist vorhanden, ich nehme ihn auch wahr.«
Dayton kam wieder zurück. »Dann erklärt mir doch endlich mal, wonach es hier riechen soll!«
»Nach Moder!«
Dayton blieb fast der Mund offen, als er die Antwort der Ärztin hörte. Dann lachte er. »Moder wie? Einfach so…«
»Ich kann auch Verwesung sagen oder poetisch werden und ihn als süßen Duft des Todes bezeichnen. Wollt ihr noch mehr hören?«
»Nein, es reicht.« Dayton drehte sich um und ging wütend seinen Weg parallel zur Schiene, um das Fahrerhaus
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