0837 - Aibon-Blut
mehr.«
»Das heißt, du willst aufbrechen?«
»Du nicht?« fragte ich lächelnd.
»Und ob«, erwiderte er, während ich dem Wirt winkte und nach der Rechnung verlangte…
***
Glenda Perkins begriff noch immer nicht, was ihr widerfahren war. Es kam ihr auch jetzt vor wie ein böser Traum, gegen den sie sich nicht wehren konnte, der gleichzeitig jedoch ein Traum war, den sie so intensiv erlebte wie die Wirklichkeit. Glenda dämmerte dahin, als hätte jemand versucht, sie mit einer Droge ruhigzustellen, doch mit Rauschgift hatte das nichts zu tun.
Wenn sie sich an den Vorgang erinnerte, hatte Glenda jedesmal den Eindruck, erst einige dicke Nebelwolken zur Seite schieben zu müssen, um an die Zeit heranzukommen.
Es war etwas da.
Sie sah sich.
Sie sah diesen grauen, dunklen Morgen hinter dem Schlafzimmerfenster liegen wie einen zähen Brei. Es gehörte einfach zu ihren Ritualen, daß sie nach dem Aufstehen immer an das Fenster herantrat, um nach dem Wetter zu schauen.
Und da war sie enttäuscht gewesen. Ein Wetter, das ihre Laune nicht besserte. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden und auf den Frühling zu hoffen.
Auch nach dem Frühstück und den zwei Tassen Kaffee bewegte sich Glenda wie eine Schlafwandlerin. Wer sie so anschaute, hätte den Eindruck haben können, hier eine Frau zu sehen, die in der Nacht höchstens zwei Stunden geschlafen hatte.
Das stimmte nicht. Glenda hatte länger geschlafen, leider nicht so tief und fest, wie sie es sich gewünscht hätte. Hinzu kam das zu warme Wetter, das sich wie Blei auf die Knochen der wetterfühligen Menschen legte und sie lähmte. Glenda Perkins gehörte an sich nicht zu dieser Gruppe, doch auch für sie gab es Tage, wo sie das Gefühl hatte, neben sich zu stehen.
Sie hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, früh aufzustehen. So konnte sie den Tag ohne Hektik angehen lassen und sich auf die wichtigen Dinge konzentrieren.
Glenda ging mit schleppenden Schritten in die Küche, um das benutzte Geschirr abzustellen. Genau da hatte sie zum erstenmal den Eindruck, nicht mehr allein zu sein.
Jemand war da.
Sie drehte sich um. Keiner zu sehen.
Glenda wartete mit angehaltenem Atem. Sie lauschte auf fremde Geräusche in der Wohnung, bekam aber nichts mit. Es blieb so verdammt still, beinahe schon zu still.
Täuschung? Einbildung?
Sie konnte sich darauf keine Antwort geben, hob schließlich die Schultern, verstaute das Geschirr in der Spülmaschine, wobei sie sich bücken mußte, und als sie wieder hochkam, entdeckte sie, halb hinter und schräg neben sich den Schatten.
Glenda versteifte.
Der Schatten zitterte, als er sich zusammenzog, und die Frau schnellte in die Höhe.
Sie sah keinen Menschen.
Aber den Schatten hatte sie gesehen, der bestand nicht in ihrer Einbildung.
Glenda wurde sehr vorsichtig. Sie gehörte zu den Menschen, die über gewisse Dinge sehr genau Bescheid wußten. Ihr war bekannt, daß es Phänomene gab, die mit dem normalen Verstand nicht zu lösen waren. Zu oft war sie selbst schon in diese dämonischen Kreisläufe hineingeraten, und nur deshalb war sie sehr vorsichtig.
Der Schatten war weg.
Auf Zehenspitzen verließ Glenda die Küche. Sie blieb im Flur stehen, der ziemlich düster war. Als sie das Licht einschalten wollte, da spürte sie die Berührung.
Es war niemand da, der sie angestoßen oder angetippt hätte, aber der Hauch war trotzdem über ihr Gesicht gefahren, und die Haut zog sich zusammen.
Ein Schattenhauch?
Ja, denn sie sah ihn an der Wand. In der Tapete zeichnete sich der Schatten ab. Glenda hatte ihn kaum gesehen, als er sich aus der Wand löste, seine Faust öffnete, ihr einen Stein präsentierte, der im selben Augenblick aufglühte.
Glenda sah das Licht, das sich zu einer Wolke ausbreitete und über sie herfiel. Es wirkte lächerlich, als sie sich duckte, denn sie konnte dieser Aibon-Kraft nicht entwischen.
Das Licht packte sie.
Es zerrte sie weg.
Glenda sah noch, wie sich die Wohnung verkleinerte. Sie spürte fremde Kräfte, die wie lange Schlangen an ihrem Körper rissen, dann wurde ihr der Boden unter den Füßen weggerissen, und sie sackte hinein in ein bodenloses Loch.
Glenda verschwand und mit ihr der Schatten.
An diese Dinge konnte sie sich erinnern, wenn sie sich anstrengte, an mehr aber nicht. Sie mußte zunächst einmal mit ihrer Umgebung klarkommen, die ihr so schrecklich fremd war. Es war einfach nicht ihre Welt, nicht ihre Zeit, man mußte sie in ein anderes Reich geschleppt
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