0851 - Wir jagten das bleiche Gesicht
Jochem fischte abgestorbene Pflanzenteile heraus.
»Daß wir uns so schnell wiedersehen, hätte ich nicht gedacht!« begrüßte er Harry und wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Er ahnte bestimmt, daß dieser Besuch keinen privaten Grund hatte.
Der Detektiv drückte ihm die Hand. Ich sah, wie sich hinter einem Fenster eine gelbliche Gardine bewegte. Wahrscheinlich schaute Jochems Frau durch die Scheibe.
»Das sind sicherlich deine Freunde aus London, von denen du mir erzählt hast.«
»Stimmt. Der eine hier ist John Sinclair. Dann haben wir da noch Suko.«
»Herzlich willkommen in unserer Welt!« So begrüßte uns Franz Jochem. Er war mir sympathisch. Ein Mann, der die besten Jahre schon hinter sich hatte, wie wir deutlich an seinem etwas verknitterten Gesicht sahen. Er trug auf dem Kopf eine Schirmmütze.
»Man hat mir bereits erzählt, daß ihr kommt.« Er lachte. »Wißt ihr, für was man euch gehalten hat?«
»Nein«, sagte Harry.
»Für Stasis oder so ähnlich.« Er schüttelte den Kopf. »Diese Zeiten sind hoffentlich vorbei. Aber kommt ins Haus, ich denke, daß wir uns einiges zu erzählen haben.«
»Bestimmt«, sagte Harry. Er ließ Jochem vorgehen. Der Garten sah braungrau aus, auch wenn der Frühling bereits an einigen Stellen sein Gesicht zeigte. Besonders gut an dem in Blüte stehenden Magnolienbaum zu erkennen, der als auffällige Erscheinung nicht weit von Jochems Teich entfernt stand. An der Haustür erwartete uns eine kleine Frau, die allerdings so dünn und knochig war, daß sie hinter einem Laternenpfahl einen Striptease hätte aufführen können, ohne gesehen zu werden. Sie hatte über die Hose und den Pullover einen Kittel gestreift.
»Das ist Edith, meine Frau.«
Sie gab uns die Hand. Auch sie fühlte sich knochig an. Das dunkel gefärbte Haar lag auf ihrem Kopf, als wäre sie erst vor drei Minuten vom Friseur gekommen.
Sie bat uns in ein Haus, in dem wir hätten vom Fußboden essen können, so sauber war es. Schon unnatürlich clean, diese Edith hatte sicherlich einen Putzfimmel. Vor derartigen Frauen mußte man auf der Hut sein. Das hatte mir mal meine Mutter gesagt.
Auch in dem kleinen und überladen wirkenden Wohnraum war es pieksauber. Meinem Geschmack entsprach die Einrichtung nicht, aber es fühlte sich eben jeder woanders wohl. Das Ehepaar hatte sich auch neu eingerichtet. Die Möbel wirkten noch wie frisch aus dem Katalog.
»Sie möchten doch sicher Kaffee – oder?«
»Das wäre gut«, sagte Harry.
»Ich koche ihn.«
Als sie verschwunden war, wandte ich mich an ihren Mann. »Ist Ihre Frau eingeweiht, was Sie und die Vorgänge angeht, von denen uns Harry Stahl berichtet hat?«
Jochem winkte mit beiden Händen ab. »Um Himmels willen, ich habe nichts gesagt. Das wäre fatal gewesen.«
»Wieso?«
»Sie braucht nichts zu wissen. Diese Frau ist nicht gerade das, was man eine liebe Person nennt. Wir leben hier nebeneinander her, das ist alles. Ich halte mich möglichst draußen auf und versuche dabei, im Haus nichts schmutzig zu machen. Die Sauberkeit ist ihre einzige Sorge.« Er tippte gegen seine Stirn. »Diese Person ist neurotisch, kann ich Ihnen sagen, meine Herren, aber das ist mein Problem, nicht das ihre. Es gibt wahrscheinlich andere Dinge, über die Sie mit mir reden wollen.« Uns traute er nicht so recht, deshalb schaute er Harry Stahl an, um ihn zum Reden zu bewegen.
»Da hast du recht, Franz.«
»Hänge ich mit drin?«
»Ich denke nicht.«
»Aber weshalb seid ihr gekommen?«
Stahl hob die Schultern. »Weshalb? Gute Frage. Es hat sich einiges verändert.«
»Was denn?«
»Gleich«, murmelte er, weil er sah, daß Edith mit Kaffee zurückkehrte. Sie hatte ihn noch in einer Kanne gekocht. Franz half ihr beim Decken des Tischs, und als ich den ersten Schluck probierte, mußte ich neidlos anerkennen, daß diese Frau es sehr wohl verstand, einen guten Kaffee zu kochen.
»Ich werde dann wieder gehen«, sagte sie. »Wenn noch Kaffee gewünscht wird, können Sie mich ja rufen.«
»Machen wir, Edith«, sagte Franz, »machen wir doch glatt.«
Sie schloß sogar die Tür hinter sich und ließ uns allein. Jochem rieb seine Hände. »Worum geht es jetzt genau?«
Er war noch immer auf Harry Stahl fixiert, deshalb überließen wir auch ihm das Reden. Er berichtete von unserem Besuch bei Albert Fink und auch von der Spur, die wir dort aufgenommen hatten. Er war davon überzeugt, daß sich alles wieder auf das Haus X konzentrierte. Daß Fink hingefahren
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