0851 - Wir jagten das bleiche Gesicht
Möglicherweise hatte es an dem Job gelegen, daß sein Haar so früh weiß geworden war.
Die Gesichtshaut erinnerte an Leder, und die grauen Augen lagen wie zwei blanke Steine in den Pupillen, und wenn Fink lächelte, sah es so aus, als würde der Tod grinsen.
Er betrat sein ehemaliges Reich.
Der alte Geruch hing noch immer zwischen den Wänden. Es stank noch immer nach Schweiß und schmutziger Wäsche. Besonders schlimm war es unten im Bunker, wo sich auch die Duschen befanden, aus denen nur kaltes Wasser geströmt war.
Fink war nervös und zündete sich eine Zigarette an. Er hatte auch früher immer geraucht und den Rauchern unter den Gefangenen gern den Rauch ins Gesicht geblasen. Die Zigarette ließ er im Mundwinkel kleben, und mit der rechten Hand holte er die Waffe hervor.
Sie gab ihm Sicherheit.
Er ging durch den Gang und erreichte die ehemalige Aufnahmestation. Dort hatten sich die Gefangenen entkleiden müssen, um anschließend ihre neue Kleidung in Empfang zu nehmen. Viele der persönlichen Dinge waren bei den Wärtern hängengeblieben.
Der alte Geruch, die alte Düsternis – und doch war es irgendwie anders geworden.
Fink suchte nach einem Ausdruck. Er hätte eigentlich als normaler Mensch auch hinter diesen Mauern frei atmen können, das aber wollte ihm nicht gelingen, denn hier lauerte etwas, mit dem er nicht zurechtkam. Hier hatte sich einiges verändert, als wäre dieser Bau von einer anderen Macht übernommen worden.
Es waren Gedanken, die er nie gekannt hatte, und er wollte sie auch fortdrängen, was er wiederum nicht schaffte. Es blieb einfach an ihm hängen.
Er ging weiter.
Nicht so wie früher, wo er mit dem Schlagstock aus Hartgummi an den Gittern der Zellentüren entlanggefahren war, nein, das war vorbei. Er schlich durch den alten Gang, auf dem die Feuchtigkeit einen Film aus Schimmel hinterlassen hatte.
Er schaute in die Zellen hinein.
Keine war mehr geschlossen. Zwar gab es noch die Türen, aber die meisten von ihnen hingen ebenfalls schief in den Angeln, als hätten die Gefangenen in ihrer Wut versucht, sie auseinanderzureißen, was ihnen natürlich nicht gelungen war.
Es passierte nichts, und Fink fragte sich, was er eigentlich hier tat.
War er einem Bluff aufgesessen? Hatte ihn Egon Kraft an der Nase herumführen wollen? Sie hatten sich früher gegenseitig Streiche gespielt, oft auf Kosten der Insassen, aber so etwas traute er Kraft trotzdem nicht zu. Das wäre zu hart gewesen.
Keine Zelle war mehr belegt, und es kam Fink schon ungewöhnlich vor, in diese menschenleeren Räumen zu schauen, wo nur die Pritschen standen und noch vor sich hinfaulende Decken lagen und sich auf dem Steinboden breite Schimmelflächen ausbreiteten. An manchen der schmalen Spinde hingen noch vergilbte Fotos. Andere Schränke waren umgekippt worden und zeigten tiefe Mulden.
Als er das Lachen hörte, glaubte er zunächst, sich geirrt zu haben.
Hier lachte keiner, abgesehen von ihm, doch dazu gab es einfach keinen Grund. Vor der Zelle, die er soeben verlassen hatte, blieb er stehen. Es war nicht dunkel, aber auch nicht hell. Durch die kleinen Fenster sickerte fahles Tageslicht und sorgte für diesen Dämmerzustand.
Wenn jemand gelacht hatte, dann war es weiter vor ihm aufgeklungen, also tiefer innerhalb dieser Anlage.
Das Lachen wiederholte sich nicht.
»Jetzt bildest du dir schon was ein«, flüsterte Fink sich selbst zu.
»Das entsteht, wenn man alt wird.« So richtig glaubte er an seine eigenen Worte nicht, und er wollte auch dem Gelächter auf den Grund gehen, falls es tatsächlich aufgeklungen war.
Er bewegte sich weiter und versuchte, leise zu sein. Es war nur mehr ein leises Schleifen oder Knirschen zu hören, ansonsten bewegte er sich ziemlich leise.
Ein scharfes, lautes und grelles Geräusch ließ ihn innehalten. Das war wieder das Lachen gewesen. Mehr als deutlich hatte Fink es vernommen, aber es war noch etwas hinzugekommen, denn dieses Lachen stammte nicht aus einer Männerkehle, eine Frau hatte es ausgestoßen, was Fink mehr als überraschte.
Schnaufend stieß er die Luft aus und schloß für einen Moment die Augen, um sich zu konzentrieren. Er nahm sich vor, sehr ruhig zu sein, aber sein Herz klopfte zu stark. Die innere Ruhe wollte einfach nicht kommen, so öffnete er die Augen wieder und versuchte, sich auszurechnen, aus welcher Zelle das Lachen gedrungen war.
Vier bis fünf Zellen weiter möglicherweise. Um es genau zu wissen, mußte er nachschauen.
Und er setzte sich in
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