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0851 - Wir jagten das bleiche Gesicht

0851 - Wir jagten das bleiche Gesicht

Titel: 0851 - Wir jagten das bleiche Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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optimistisch. »Bestimmt.«
    Er hob die Schultern und schaute zu, wie wir einstiegen. Winkend stand er noch auf dem schmalen Gehsteig vor dem Haus und schaute uns nach. Harry, unser Fahrer, seufzte. »Ich beneide den guten Franz Jochem wirklich nicht.«
    »Weshalb?«
    »Ein typisches Schicksal, John. Erst vierzig Jahre DDR-Regime, dann, im Alter, muß er sich mit seinem Weib herumschlagen. Für ihn war das ganze Leben eine Strafe.«
    Ich grinste nur müde…
    ***
    Erinnerungen kehrten zurück, und Albert Fink schaffte es nicht, sie zu verdrängen. Er hatte damit gerechnet, auch andere Kollegen hier zu finden, aber so weit er sehen konnte, befand er sich allein auf dem Komplex der Anlage, die noch verwitterter aussah als früher.
    Vor Jahren hatte hier zumindest die Überwachung funktioniert, das gehörte nun der Vergangenheit an. Es sah alles mehr als trostlos aus.
    Das Unkraut war gewuchert, die Mauern wirkten verfallen, und die elektrischen Warnanlagen waren nicht mehr funktionstüchtig.
    Und dennoch kam ihm der Komplex nicht leer vor. Es lag an den Bildern, die vor seinen Augen aufstiegen. Er sah die Gefangenen über den Hof laufen, er hörte die schrillen Befehle der Männer und Frauen des Wachpersonals.
    Pfeifen ertönten, Stimmen brüllten. Dazwischen die dumpfen Hiebe der Schlagstöcke, wenn sie auf Rücken oder in Nacken trafen und den Gefangenen zeigten, wer hier das Sagen hatte.
    Schreie, Tränen, Verzweiflung. Eingekesselt in den viel zu kleinen Zellen, die mit sechs Leuten belegt waren. Das alles gehörte zum Alltag, das alles glaubte er, vergessen zu haben, aber Fink merkte, daß man es nicht vergessen konnte. Es war einfach zu prägend. Es drückte sich hoch in die Erinnerung, und er sah die Bilder mal klar, dann wieder unscharf wie bei einem zu schnell vorbeiziehenden Film.
    Er hörte sich selbst keuchen, die Luft war kalt, der Wind brachte ebenfalls noch mehr Kälte mit. Er wehte von Osten her über die Berge hinweg und brachte sogar den Geruch von Schnee mit.
    Wie oft hatte er hier erlebt, daß diese kleine Welt im Winter wie unter einem Leichentuch versank. Dann hatten es die Gefangenen besonders schwer gehabt, denn die Wächter hatten keine Rücksicht gekannt und sie auch durch Kälte und Schnee gescheucht. Um sich erwärmen zu können, hatten sie oben schneller laufen müssen.
    Jetzt lief keiner mehr, außer ihm.
    Trotz der Kälte schwitzte er. Er dachte an seinen Freund Egon Kraft, der nicht, mehr lebte. Das sollte ihm nicht passieren. Jeder, der hier im Lager etwas zu sagen gehabt hatte, der hatte letztendlich auch für sich gesorgt und sich mit Waffen eingedeckt. Auch Albert Fink trug eine Waffe bei sich. Es war eine russische Pistole, die geladen in seinem Gürtel steckte. Die anderen Waffen hatte er günstig verkaufen können und damit sein Auto finanziert.
    Wenn es hier überhaupt noch Lebewesen gab, dann waren es Vögel, die irgendwo ihre Verstecke gefunden hatten.
    Der Himmel lag als graue Wolkendecke über ihm. Das Gemäuer zeigte eine braune Außenschicht, hin und wieder von grünen Inseln überwachsen. Ansonsten war es still. Nichts wies darauf hin, daß sich jemand in diesem Bau versteckt haben könnte.
    Darauf beruhte Finks Hoffnung. Noch rechnete er damit, einem Bluff auf den Leim gegangen zu sein. Sollte dies tatsächlich stimmen, wäre er nicht einmal böse gewesen. Dann wäre er wieder gefahren und hätte diesen Trip als kleinen Ausflug abgehakt.
    So einfach war es nicht. Es machte ihm zwar keinen Spaß, aber er würde noch einmal seine alten Wirkungsstätten durchstreifen, um ganz sicher zu sein. Auf die Waffe konnte er sich verlassen, sie war hervorragend eingeschossen, und eine Taschenlampe hatte er sicherheitshalber auch mitgenommen.
    Es gab keine verschlossenen Türen mehr. Von der Ferne aus gesehen wirkte dieses Gebäude auch nicht wie ein Gefängnis oder ein Zuchthauskomplex. Die trotz der Mauern flachen Bauten lagen eingebettet in eine Mulde und hatten so einen natürlichen Schutz bekommen. Wenn hier fremde Geräusche aufklangen, wie hin und wieder ein Rascheln, dann lag es an den Ratten, die durch dichtes Gras huschten und es auch schafften, sich vor den Augen des Menschen zu verbergen.
    Vor dem normalen Eingang blieb Fink stehen. Es war schon immer eine zugige Ecke gewesen, und auch jetzt erwischte ihn der Wind und trieb sein nackenlanges, weißes Haar hoch. Trotz dieser greisenhaften Farbe war Fink selbst nicht so alt, er hatte die Vierzig knapp überschritten.

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