0879 - Das Erdmonster
Lippen, die sie nun bewegte. »Warum…?« fragte sie und schluckte. »Warum nur?« schrie sie plötzlich.
Das Licht gab ihr keine Antwort…
***
Delphi hatte es nicht genau gesehen, dazu war sie zu weit entfernt vom Ort des Geschehens. Aber sie hatte es gehört, sie wußte, was geschehen war. Sie hatte die Flucht der Vögel mitbekommen, das Grollen tief in der Erde, und sie hatte auch den rötlichen Schein jenseits des Sees entdeckt, wo die schmale Uferstraße verlief.
Delphi hatte gebetet und war verzweifelt. Sie fühlte sich matt. Der Druck einer gewaltigen Tonnenlast lag auf ihren Schultern, so daß sie es kaum schaffte, sich zu bewegen. Sie hatte es nicht nur geahnt, sie wußte es, denn sie war diejenige gewesen, auf die niemand hörte, obwohl die Erde sie gewarnt hatte.
Die Mutter Erde!
Es lohnte sich, über sie nachzudenken, denn sie war ebenfalls ein Lebewesen. Genau wie die anderen, die Zwei- und Vierbeiner, die auf ihr lebten. Sie existierte, sie hatte Gefühle, sie verspürte Schmerzen, sie war geduldig, aber nicht endlos geduldig, und sie war jetzt bereit, zurückzuschlagen.
Sie ließ sich die verfluchte Ausbeutung nicht mehr gefallen. Zu lange schon hatten die Menschen den Körper Erde gefoltert und malträtiert. Sie hatte alles mit sich geschehen lassen und schließlich ihre Selbstheilungskräfte mobilisiert. Ja, es mußte so sein, so und nicht anders.
Sie mußte es tun, sie konnte sich nicht zerstören lassen.
Dabei hatte sie immer wieder gewarnt. Vulkanausbrüche, Flutwellen, Überschwemmungen, oderund unterirdische Beben, Erdrutsche, Hurricans und Taifune - die Erde war nicht mehr gewillt, sich ausbeuten zu lassen. Sie stemmte sich dagegen, und Delphi fragte sich, was noch passieren mußte, damit die Menschen endlich nachdachten.
Viel, sehr viel, dann aber würde es zu spät sein, und das stand für die einsame Frau fest.
Sie richtete sich langsam auf. Von ihrer erhöhten Stelle aus konnte sie über den See hinwegschauen, und wieder entdeckte sie das rote Licht. Ein Ball voller Gehässigkeit und Siegesgewißheit. Sie merkte, daß er gewonnen hatte.
Delphi bewegte ihre Hände, auf deren Flächen der Schweiß wie eine glatte Ölschicht lag. Ihre Nasenflügel weiteten sich, als sie die Luft einsaugte.
Nein, so nicht. Bitte nicht so. Die Menschen waren nicht so schlecht, daß sie von der Erde gefressen wurde. Es waren nur einzelne, aber nicht alle. Einzelne vielleicht, aber bitte keine Kollektivstrafe.
Das hatten sie trotz ihrer Fehler nicht verdient.
Delphi schüttelte den Kopf. Sie merkte, wie stark sie durcheinander geworden war. Gedanken wirbelten durch ihren Kopf. Positives und Negatives trafen zusammen, ohne daß dabei ein Ergebnis herauskam. Es hatte auch keinen Sinn, sich weiterhin Gedanken zu machen, wichtig war das Heute, das Jetzt, und da war etwas passiert, für das sie noch keine richtige Erklärung hatte.
Aber sie wollte die Folgen dessen sehen. Der See war nicht groß, und sein Wasser hatte sich auch wieder beruhigt, nachdem die Steine und das Geröll hineingerutscht waren.
Das war auf der anderen Seite geschehen, und genau dort wollte die junge Frau hin.
Delphi machte sich auf den Weg.
***
»Bleib ganz ruhig, ich helfe dir. Ich werde dich von diesem Felsen wegholen, du mußt nur ruhig bleiben. Ich weiß, daß du und ich nichts mehr ändern können, aber wir müssen jetzt das Beste aus unserer Lage machen. Ganz ruhig, ganz ruhig…«
Die Worte der fremden Frau klangen in Jills Ohren noch immer nach. Seltsamerweise aber hatte sie Vertrauen zu dieser Stimme und auch zu der Frau gefunden, und sie hatte alles mit sich geschehen lassen. Sie war mit ihr gegangen, sie hatte die Dinge selbst erlebt, und trotzdem war sie sich vorgekommen wie eine Fremde, die einfach durch eine aufgebaute Kulisse schritt, ohne so recht zu wissen, was sie tun sollte und nur auf die Anordnungen einer Person wartete, die genau Bescheid wußte.
Ein Weg lag hinter ihr. Ein langer oder ein kurzer Weg? Sie wußte es nicht, aber es war jetzt vorbei.
Sie hockte in einem Haus, in einer Hütte, und der warme Kerzenschein streichelte ihr Gesicht. Es tat ihr gut, den Wachs der Kerze zu riechen, denn dieser Geruch erinnerte sie wieder daran, in der normalen Welt zu sein und auch im Leben zu stehen.
Ich lebe!
Zwei Worte nur, aber ungemein bedeutungsvoll. Jill McCall schaffte es, sich diese Tatsache immer wieder reinzuhämmern und ihr klarzumachen, daß sie auch weiterhin existierte, auch wenn sie bisher
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