0888 - Angriff auf die Vampirstadt
überflüssigerweise.
»Selbstverständlich, Gebieter.« Falls der unnötige Befehl Keran gekränkt hatte, ließ er sich nichts anmerken.
Lucifuge Rofocale versetzte sich gleich vom Inneren der Festung zurück in die Hölle. Er ahnte nicht, dass das, was er zurückgelassen hatte, alles andere als inaktiv war. Die Aura des Hong Shi wäre nicht nur in den Schwefelklüften kaum zu verbergen gewesen. Wie ein Schwamm hatte sich der Stein in Choquai mit der allgegenwärtigen Magie Kuang-shis vollgesogen. Auch wenn Fu Long sie kontrollierte, war sie nicht weniger wirksam. Und jetzt griff der Hong Shi hinaus in die Welt, in die er unbedacht zurückgebracht worden war, und rief nach den Kindern des Götterdämons.
***
Thomas Chen war der erste, der den Ruf hörte. Der ehrgeizige Sohn chinesischer Einwanderer hatte sich aus einfachsten Verhältnissen hochgearbeitet. Er war Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens, das für den amerikanischen Markt Waren aus China importierte, war verheiratet mit einer wunderschönen Frau und besaß ein großes, luxuriös eingerichtetes Haus.
Und er war ein Tulis-Yon.
Chen erinnerte sich daran, wie seine Großmutter ihm einst Schauergeschichten aus dem alten China erzählt hatte, von Kuang-shi, dem Götterdämon, und seiner goldenen Stadt der Vampire. Und von den Tulis-Yon, unbesiegbaren Kriegern mit den Körpern von Menschen und dem Kopf von Wölfen, die jederzeit bereit waren, für ihren Herrn in den Tod zu gehen.
Damals hatte er sich zu Tode gefürchtet, sich eng an seine Großmutter gekuschelt und nach weiteren Geschichten aus dem Reich Kuang-shis gebettelt, bis die alte, schon fast zahnlose Frau lächelnd nachgegeben hatte.
Dann war er älter geworden und hatte nicht mehr viel übrig gehabt für die Ammenmärchen aus dem Land seiner Vorfahren. In einer Welt, die von Aktienkursen und Zinssätzen bestimmt wurde, gab es keinen Platz für Vampire, Götterdämonen und Wolfsmenschen.
Hatte er geglaubt.
Er war so dumm gewesen. So naiv. Bis ihm sein damaliger Chef vor vier Jahren sein wahres Gesicht gezeigt hatte. Das Gesicht eines Wolfes. Völlig unvermittelt, in einer Dienstbesprechung, hatte sich der Inhaber von Patrick Lau Enterprises in eine reißende Bestie verwandelt, auf seinen vor Angst erstarrten Mitarbeiter gestürzt und ihm die Brust zerfetzt.
Noch im Konferenzzimmer war der junge Manager verblutet. Und das Wesen, das sich danach erhob, sich notdürftig am Waschbecken säuberte und in den bereit gelegten frischen Anzug schlüpfte, war nicht mehr Thomas Chen gewesen. Seitdem war er Teil einer Familie, die älter, mächtiger und ehrenvoller war als alles, was er je erlebt hatte. Und er hatte erfahren, dass Kuang-shi viel mehr war als eine alte Legende, mit der chinesische Großmütter ihre Enkel erschreckten.
Doch der Plan des Götterdämons, diese Welt in ein neues Choquai zu verwandeln, war gescheitert. Mit Scham dachte Thomas Chen an die verheerende Niederlage der Tulis-Yon gegen Fu Longs Vampirarmee. Unzählige seiner Brüder und Schwestern waren an diesem Tag in der kalifornischen Industriestadt Vernon niedergemetzelt worden. Doch ein paar Wolfskrieger hatten das Massaker überlebt. Sie waren bei ihrer Flucht in alle Winde verstreut worden, hatten sich in die Tarnungen ihrer bürgerlichen Existenzen geflüchtet und auf ein Signal gewartet, das nie gekommen war.
Bis heute.
***
Sie saßen gerade mit Freunden beim Essen. Thomas' Frau Lin hatte Karen und Jack Walker eingeladen, und er hatte widerwillig zugestimmt. Das war der Preis, wenn man der Welt ein glückliches Eheleben vorspielen musste.
»Es schmeckt köstlich, Lin.«
»Oh, vielen Dank, Karen. Möchtest du noch etwas Filet?«
Ungefragt häufte Lin ihren Gästen noch eine große Portion Rindfleisch auf den Teller. Kurz streifte ihr Blick den von Thomas, doch schnell sah sie wieder weg.
Ihre Ehe war seit seiner Wiedergeburt als Wolfskrieger nur noch Fassade, doch Lin ahnte nicht einmal, was die wahre Ursache dafür war. Sie hatte es zunächst auf seine Überarbeitung geschoben, als er sich von ihr zurückzog und nicht mehr das geringste Interesse an ihr oder auch nur an ihrem makellosen Körper zeigte. Dann war sie hysterisch geworden, hatte ihm Affären unterstellt und mit Scheidung gedroht. Und schließlich hatte sie resigniert und sich selbst mit wechselnden Liebschaften von ihrer Einsamkeit abgelenkt.
Thomas war es egal gewesen, solange sie seine Tarnung nicht gefährdete. Er selbst konnte
Weitere Kostenlose Bücher