0888 - Angriff auf die Vampirstadt
veranstaltete der Götterdämon für sein Volk einen Jagdtag, für den er mindestens ein Dutzend menschlicher Sklaven opferte. Friedliche Händler, Künstler und Bauern verwandelten sich von einer Minute auf die andere in reißende Bestien, die ihre Opfer durch den Park hetzten und schließlich regelrecht zerrissen.
Zamorra hatte sich von diesem abscheulichen Ritual bisher ferngehalten, und niemand hatte Anstoß genommen. Schließlich waren es seine Artgenossen, die dort von den Bewohner Choquais abgeschlachtet wurden. Doch diesmal war es anders gewesen. Kuang-shi hatte auf seiner Anwesenheit bestanden. »Es ist wichtig für unsere Gesellschaft, dass ihre wichtigsten Repräsentanten ab und zu an diesem Ereignis teilnehmen«, hatte er gesagt. Und Zamorra hatte sich gefügt.
War das ein Test?, fragte sich Zamorra, während er sich weiter fast die Haut von den Knochen schrubbte.
Will er wissen, ob ich wirklich loyal bin?
Der Hofzauberer hätte auf diese Frage im Moment keine Antwort gehabt. Er hatte gewusst, was im südlichen Park geschah - und es nach Kräften verdrängt. Doch was er heute gesehen hatte, würde er nie wieder aus seinem Gedächtnis verbannen können. Sie hatten auf einer Tribüne gesessen und zugesehen, wie die Bewohner Choquais sich an der Qual ihrer Opfer weideten. Und dann, mitgerissen vom Blutrausch, war Shao Yu mitten in die Menge gesprungen und hatte vor Zamorras Augen einem jungen Mädchen die Kehle zerfetzt.
Ihr Todesschrei gellte immer noch in Zamorras Ohren. Das Blut war bis zur Tribüne gespritzt und hatte seine Hände getroffen. Die Hände…
Er tauchte seine Hände wieder tief in das Wasserbecken, als er Shao Yu bemerkte. Er hatte sie nicht kommen hören. Nur an einem winzigen Luftzug spürte er, dass sie hinter ihn getreten war.
»Kommst du ins Bett, Liebster?« Sie schmiegte sich sanft an ihn. Er spürte die elegante Kühle ihres Körpers, die ihn sonst so erregte. Diesmal jagte sie ihm einen Schauer über den Rücken.
»Geh schon vor. Ich komme gleich nach…«
»Was tust du da?« Shao Yu gluckste. »Verwandelst du dich langsam in einen Fisch?« Sie presste ihre festen Brüste gegen Zamorras Rücken. Sanft strichen ihre Lippen über seinen Hals. Die spitzen Eckzähne liebkosten ihn, ohne die Haut zu verletzen.
»Lass mich nicht zu lange warten, Geliebter. Das viele Blut heute Nachmittag hat das Biest in mir geweckt. Ist es nicht das, was ihr Männer wollt?«
»Ja«, sagte Zamorra nur. Er wagte es nicht, sich zu seiner Frau umzudrehen.
Erleichtert hörte er, wie sie den Raum verließ.
Er wollte seine Hände wieder ins Becken tauchen und hielt inne, als er sein eigenes Spiegelbild im Wasser sah. Das Gesicht kam ihm fremd vor. Wie eine Maske, die ihn mit leeren Augen anzustarren schien.
Wer bist du? Und was mache ich an diesen seltsamen Ort?
***
Fu Long saß in einem Sessel und starrte ins Leere. Seit über einer Stunde hatte er kein einziges Wort gesprochen, was Gryf nur noch wütender machte.
»Großartig, jetzt haben wir den Kerl am Hals und er spricht noch nicht einmal. Tolle Hilfe, echt…«
»Deine Ungeduld ist verständlich, junger Freund«, sagte Fu Long. Irritiert sah Nicole den Herrn von Choquai an. Der chinesische Vampir hatte die letzte Stunde wie in Trance gewirkt. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er überhaupt etwas von dem mitbekam, was um ihn herum geschah. Aber jetzt wirkte Fu Long hellwach. Der Vampir verzog die Lippen zu einem freudlosen Lächeln. »Aber es ist keinem geholfen, wenn wir die Sache überstürzen. Damit machen wir alles nur noch schlimmer.«
»Er weiß auch nicht weiter!«, schimpfte Gryf. »Schlaue Sprüche klopfen und weise gucken. Das ist alles was er kann. Und er soll mich nicht immer junger Freund nennen. Ich bin fast 8000 Jahre älter als er.«
»Dann benimm dich auch so«, zischte Nicole wütend. Die Situation belastete sie schon genug, da brauchte sie nicht noch einen nervtötenden Silbermond-Druiden.
Es lag der Dämonenjägerin fern, Fu Long blind zu vertrauen. Aber sie musste zugeben, dass ihr früheres Urteil vielleicht etwas voreilig gewesen war. Schließlich wäre es ihnen ohne Fu Longs Hilfe damals nie gelungen, Kuang-shi aufzuhalten. Außerdem hatte spätestens ihre Begegnung mit Dalius Laertes bewiesen, dass es offenbar tatsächlich Vampire gab, die auf ihrer Seite standen, aus welchem Grund auch immer. Und wenn dieser Vampir jetzt ihre einzige Chance war, Zamorra zu retten, würde sie ihn bestimmt nicht
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