0896 - Das Psychonauten-Kind
Ding heißt Baracke. Sieht es denn aus wie eine Baracke?«
Der Trödler lachte. »Darauf kannst du dich verlassen. Da haben früher mal Soldaten gehaust.«
»Wem gehört das Ding jetzt?«
»Ist von einem Privatmann gekauft worden. Der vermietet die Drecksbude an arme Schweine für relativ viel Geld. Ihr werdet es ja sehen, Freunde.« Damit war für ihn die Plauderstunde vorbei. Er stieg wieder auf seine Leiter.
Wir bewegten uns ebenfalls weiter. Um die Baracke zu erreichen, mußten wir über zwei Gleise klettern und an alten, beschmierten Brandmauern vorbeigehen. Schotter lag auf dem Böden und machte das Laufen mühsam.
Hier sah vieles verrostet aus. Hier war einiges stillgelegt worden, und nichts wies daraufhin, daß sich das in naher Zukunft ändern würde. Der Weg führte durch einen kurzen Tunnel, dessen Innenwände beschmiert waren. Drei ältere Stadtstreicher hockten um ein kleines Feuer und wärmten sich.
Der graue Rauch wurde vom Wind nur durch eine Tunnelöffnung geweht.
Wir passierten die Männer, stiegen an der anderen Seite wieder einen Weg hoch und hatten die toten Gleise hinter uns gelassen. Dafür schauten wir auf die Breitseite der Baracke.
Das mußte sie einfach sein, denn sie sah aus wie eine Kaserne. Graue Fassaden, aufgelockert durch zahlreiche Fenster, die alle gleich aussahen und auch mit den gleichen schmutzigen Scheiben versehen waren. Einen Eingang sahen wir nicht, deshalb gingen wir davon aus, daß wir an der Rückseite standen.
Wir schritten über den leeren Platz, der mit festgeklebten Steinen, Abfall und Grasbüscheln übersät war. Wir mußten zahlreichen Flaschen ausweichen, auch noch heil gebliebenen, stiegen über Scherben hinweg und traten leere Dosen aus dem Weg. Uns kam es so vor, als hätten die Gäste der Pension ihre Flaschen und Dosen geradewegs aus den Fenstern nach draußen geworfen.
»Hier sieht es aus«, sagte Suko und schüttelte den Kopf. »London sollte sich schämen.«
»London ist pleite.«
»Ja, das erklärt vieles.«
An der Schmalseite der Baracke gingen wir entlang. Hier parkten zwei zerbeulte Autos. Ein Ford und ein Opel. Dazwischen stand ein Fahrrad ohne Räder. Rechts von uns wuchs die Wand eines alten Ziegelsteinbaus hoch. Darin wurde gearbeitet, denn wir hörten die klopfenden und hämmernden Laute der Maschinen.
An der Vorderseite der ungewöhnlichen Pension führte eine Straße entlang. Kopfsteinpflaster bedeckte sie.
Den Eingang sahen wir auch. Eine große, graue Tür, die nicht geschlossen war. Durch sie drang die schrille, keifende Stimme einer Frau ins Freie, die schon jetzt in unseren Ohren schmerzte. Und sie wurde noch lauter, als wir den kahlen Flur betraten, wo sie als Echo über die Wände schmetterte.
Die Frau telefonierte. Sie saß rechts von uns in einer kleinen Bude, dessen Fenster hochgeschoben war. Früher einmal mußte dort die Wache gewesen sein, aber schlimmer als dieses Weib mit den Zottelhaaren hätte auch der härteste Offizier nicht sein können.
Die Frau war unwahrscheinlich kräftig in den Hüften. Sie trug einen bunten Kittel und eine grüne Strickjacke, deren Wolle so eng anlag, daß die Fettpolster auf ihren Armen mehrere nebeneinanderliegende Hügel bildeten. Der Hörer des dunklen Telefons verschwand beinahe in ihrer rechten Hand.
»Neinnn!« schrie sie. »Neiinnn, du Miststück! Ich habe dir gesagt, daß so etwas nicht in Frage kommt. Du bleibst zu Hause und haust nicht mit diesem Rattenpack ab.«
Suko und ich schauten uns an. Wir grinsten beide. »Ob die mit ihrem Gatten spricht?« fragte mein Freund.
»Kann sein.«
»Nein, mit meinem Bruder!«
Die Frau hatte uns gehört und war dabei, sich auf ihrem breiten, quietschenden Drehstuhl umzuwenden. Wir sahen sie von vorn, und wir schauten dabei in ein rundes, überhaupt nicht häßliches Gesicht, das nur durch die starke Schminkschicht so häßlich gemacht worden war. Auch das kräftige Hellrot der Lippen paßte einfach nicht. Mir kam sie vor, als wollte sie zu einem Faschingsball gehen. Die Frau klopfte mit ihren Stummelfingern auf die nach innen gebaute Fensterbank und warf uns aus ihren dunklen Augen scharfe Blicke zu.
»Was wollt ihr? Zimmer?«
»Möglich«, sagte ich.
»Ihr seht aber nicht so aus, als müßtet ihr euch mit diesen Wanzenbuden begnügen.«
Suko grinste sie an. »Wie sehen wir dann aus?«
»Mehr wie…« Sie überlegte einen Augenblick. »Ja, wie zwei Bullen, die sich verlaufen haben.«
»Verlaufen?«
»Klar, denn hier gibt es für
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