0913 - Das Gespenst
hielt ihm die Tasse hin und setzte sie dann behutsam an die Lippen ihres Mannes. Horace schluckte. Er konnte nur sehr langsam trinken, und seine Lippen bewegte er dabei zitternd.
Als er die Tasse zur Hälfte geleert hatte, nahm sie ihm Mary wieder weg. »Damit hat sich nichts gebessert«, sagte er leise. »Die Tatsachen sind geblieben.«
»Stimmt.«
»Und sie werden zurückkehren, Mary.«
»Wir warten es ab.«
»Ich habe Angst«, flüsterte Horace.
»Das kann ich verstehen.«
»Angst vor der Dunkelheit, Angst vor der Angst, auch Angst vor dem Alleinsein.«
»Nein, Horace, das brauchst du nicht. Du brauchst keine Angst vor dem Alleinsein zu haben. Du mußt daran denken, daß ich bei dir bin und auch bei dir bleibe.«
»Ja, Mary?« Er lächelte schwach. »Du bist auch bei mir gewesen, als es mich überfiel, und ich hätte dich beinahe getötet. Deshalb kann ich deine Anwesenheit nicht als eine Beruhigung ansehen, so leid es mir für dich tut. Wenn du im Haus bleibst, begibst du dich in eine Gefahr, das solltest du realistisch sehen.«
»Was soll das denn heißen, Horace?«
»Geh weg, Mary. Verlasse das Haus. Ich möchte allein bleiben, das ist besser für uns beide. Es darf uns einfach nichts mehr dazwischenkommen, Mary. Ich bitte dich inständig. Laß mich allein! Bleib nicht in meiner Nähe.«
»Ich bin deine Frau, Horace, und das schon verflixt lange. Wir haben einige Stürme gemeinsam überstanden, und wir haben auch dabei nicht die Nerven verloren. Ich sehe nicht ein, daß ich dich jetzt aufgeben soll. Wir sind verheiratet, und wir stehen die Sache gemeinsam durch. Mit Johns Hilfe.«
»Meinst du?«
»Ja.«
»Ich glaube nicht daran.«
»John wird morgen hier eintreffen. Er wird dich nicht aus den Augen lassen, das hat er mir versprochen.«
Horace F. lächelte etwas verloren. »John«, murmelte er, »meine Güte, was hat er denn gesagt, als du ihm meine Geschichte erzähltest?«
»Er war natürlich nicht erfreut. Aber John ist nicht so leicht zu schockieren. Er hat ja schon Dinge erlebt, über die wir uns kaum ein Bild machen können. Ich denke schon, daß er damit zurechtkommt, auch wenn es der eigene Vater ist.«
»Das kann ich alles nicht so recht nachvollziehen. Ich bleibe nur bei meiner Meinung. Es ist für dich besser, wenn du mich allein läßt, Mary. Wirklich.«
»Das mußt du in diesem Fall schon mir überlassen. Möglicherweise bin ich ja nicht allein.«
»Wieso das denn?«
»John wollte noch unseren Freund McDuff anrufen. Er wird uns beide überwachen.«
»McDuff?« Sinclair mußte lachen. »0 je, was will der denn hier? Er ist doch viel zu befangen. Er ist zudem ein normaler Polizist und wird es kaum schaffen…«
»Warte es ab, Horace, und denke bitte nicht schon jetzt so negativ. Wir werden die Dinge schon richten.«
»Ja, Mary, das wirst du. Ich bewundere dich manchmal, wie stark du sein kannst. Aber ich möchte nicht mehr hier im Bett bleiben. Ich habe geschwitzt, ich brauche unbedingt eine Dusche. Läßt du mich aufstehen, bitte?«
»Was immer du willst, Horace.« Sie stand auf und machte ihrem Mann Platz.
Horace F. Sinclair quälte sich aus dem Bett und schlüpfte in die flachen Haustreter. »Duschen kann ich mich noch allein. Ich habe außerdem Hunger. Hast du noch irgend etwas im Haus?«
»Ich bereite dir einen Toast zu.«
»Danke.« Er legte beide Hände auf ihren Wangen und küßte sie auf die Stirn. »Danke auch für das andere, Mary. Das werde ich dir niemals vergessen.«
»Ach, hör auf, du alter Esel!« Sie kämpfte plötzlich mit den Tränen. »Laß es schon gut sein.« Dann drehte sich die Frau um und eilte aus dem Schlafzimmer.
Horace. F. Sinclair betrat wenig später das große Bad, wo auch die Dusche untergebracht worden war. Er betrachtete sich im Spiegel, ohne irgendwelche Veränderungen feststellen zu können. »Ich bin normal«, sprach er zu sich selbst. »Ich sehe völlig normal aus, aber ich bin es, verdammt noch mal, nicht. Was liegt dazwischen? Ich komme nicht damit zurecht. Was hat mich erwischt?«
Er erfuhr es nicht, denn der Spiegel blieb stumm.
Inzwischen hatte seine Frau die Küche betreten und kümmerte sich um den Imbiß. Das Geräusch eines ankommenden Wagens störte sie dabei. Sie trat ans Fenster, schaute hinaus und sah McDuff aus dem Fahrzeug steigen.
Die hochgewachsene und breitschultrige Gestalt des Sergeants flößte ihr sofort Vertrauen ein. Sein Haar leuchtete rötlichblond. Er hatte im Laufe der Jahre einen Bauch bekommen, den
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