092 - Der Herr des Schreckens
wollte ein magisches Zeichen mit der Hand machen. Die schwarze Wolke raste auf ihn zu, ein Schlund klaffte darin auf. Chardier wurde hineingezogen, und im nächsten Augenblick befand er sich in völliger Finsternis.
Giscard Chardier schrie in namenlosem Entsetzen. Doch niemand hörte ihn. Sein Körper löste sich in die Atome auf, die ihn geformt hatten, und zum Schluß blieb nur noch der Kopf des alten Mannes.
Der Kopf schrie in wahnsinnigem Grauen. Endlich löste auch er sich auf. Ein letzter Seufzer, und nichts war mehr von Giscard Chardier geblieben.
Die schwarze Wolke im großen Saal der alten, heruntergekommenen Villa verschwand. Giscard Chardier hatte sein Angehen gegen den Herrn des Schreckens mit dem Leben bezahlt.
Professor Dulac, Kommissar d’Estienne und Robert Arvois wußten nichts von Giscard Chardiers Ende. Es sollte Wochen dauern, bis das spurlose Verschwinden des alten Mannes überhaupt bemerkt wurde. Die drei Männer starteten um 10.15 Uhr mit einer Boeing der Air France vom Pariser Flughafen Orly.
Nach einer Zwischenlandung in Damaskus sollten sie neuneinhalb Stunden später in Delhi landen. Von Delhi aus war um 4.00 Uhr morgens ein Flug mit einer Maschine der Eastern Airlines nach Katmandu geplant.
Der Flug verlief ohne Zwischenfälle, abgesehen davon, daß in Damaskus beim Überprüfen der Maschine eine Unstimmigkeit in der Hydraulik festgestellt wurde, die zu beheben anderthalb Stunden dauerte. Da bei dem Flug nach Osten wegen der Zeitverschiebung zwischen Mitteleuropa und Indien viereinhalb Stunden hinzugezählt werden mußten, war es in Delhi 1.45 Uhr Ortszeit, als die Boeing landete.
Die drei Männer fühlten sich wie gerädert. Der lange Flug, der Klimawechsel und der Höhenunterschied machten ihnen schwer zu schaffen. Der Flug von Delhi nach Katmandu dauerte nicht ganz drei Stunden.
Obwohl er todmüde war, war es für Robert Arvois ein Erlebnis, aus der Ebene die Gebirgsmassive des Himalajas aufsteigen zu sehen. Es war eine wild gezackte Hochgebirgswelt. Die schneebedeckten Gipfel und Zonen waren noch nicht zu erkennen. Das Flugzeug stieg noch höher hinauf, und nun waren die Felder voll von ewigem Schnee und Gletschereis gut zu sehen. Der Schnee gleißte und glitzerte in der Morgensonne. Dunkle Schatten von hochragenden Massiven und Bergspitzen lagen über weiten Hängen.
Der Pilot ging etwas tiefer, nachdem er seinen Fluggästen den Anblick der erhabenen Bergwelt des Himalajas geboten hatte. Die Maschine hielt direkt auf eine massive Wand zu, doch beim Näherfliegen gab diese einen schmalen Durchlaß frei. Dahinter lag das Hochtal von Katmandu.
Robert Arvois sah Reisterrassen und spitzgiebelige Häuser. Die Hochebene war völlig schneefrei. Das Flugzeug rollte auf der kurzen Landebahn aus, und wenig später konnten die Passagiere die Maschine verlassen.
Die drei Männer passierten den Zoll. Diesmal dauerte es länger als in Delhi, wo nur das Handgepäck flüchtig kontrolliert worden war.
Professor Dulac stützte sich auf das Stöckchen, das er von Giscard Chardier erhalten hatte. Er hatte es während des ganzen Fluges nicht aus der Hand gegeben. Dulac war so müde, daß er im Stehen hätte einschlafen können.
Als die drei Männer den Zoll passiert hatten und in die bescheiden eingerichtete Flughafenhalle traten, kam ein stämmiger, untersetzter Nepalese mit einem abstoßend häßlichen, pockennarbigen Gesicht auf sie zu.
„Professor Dulac?“ fragte er in einem schauderhaften Französisch. Dulac nickte.
„Der bin ich. Sind Sie der Mann, den wir treffen sollen?“
„Jawohl. Ich Bote von…“ Der Nepalese sprach nicht weiter. Er sah sich erst nach allen Seiten um, ob auch niemand in Hörweite sei, ehe er dem Professor ins Ohr raunte: „Chandar-Chan.“
Der Nepalese besorgte ein Taxi und zwei Gepäckträger, die die beiden schweren Koffer nach draußen trugen. Vor dem primitiven Terminal stiegen die Männer ins Taxi. Dulac und d’Estienne gähnten abwechselnd.
„Sagen Sie, können wir uns nicht erst im Hotel wenigstens etwas frischmachen, ehe wir zu dem Treffen fahren?“ wandte sich d’Estienne an den pockennarbigen Nepalesen.
Der schüttelte entschieden den Kopf.
„Schwarzer Lama wartet nicht gern“, raunte er d’Estienne ins Ohr. „Sehr, sehr gefährlich, ihn wütend machen. Schwarzer Lama kein Mönch, sondern Dämon.“
Das spitzgiebelige Haus stand am Berghang. Der pockennarbige Nepalese feilschte laut mit dem Taxifahrer wegen einiger
Weitere Kostenlose Bücher