0921 - Totengrinsen
bekannt.
»Du könntest heute raus.«
»Nein, das war ich schon.«
»Ah ja, ich vergaß.«
»Es hat mir gefallen.«
Der Pfleger, schon jahrelang im Beruf, hatte sich an den Umgang mit nervenkranken Menschen gewöhnt und nickte nur. »Hauptsache, es hat dir gefallen.«
»Es war sehr schön.«
»Bis heute abend dann.«
»Ja, ich werde mich ausruhen.« Der Mann hatte die Tür noch nicht geschlossen, als sich Nathan auf das Bett zurückfallen ließ.
»Das ist immer ein Horror für mich, wenn ich dem das Essen bringen muß«, sagte der Pfleger, ein Farbiger, zu seinem Kollegen.
»Kann ich verstehen. Ich habe sogar Angst vor ihm. Es kommt mir vor, als wäre er freiwillig hier. Ich habe mal einen Film gesehen, in dem einer die Hauptrolle spielte, der durch Mauern und Wände gehen konnte. So ähnlich stelle ich mir auch Nathan vor.«
»Du meinst, daß er durch Wände gehen kann?«
»Ja, der spricht doch immer von seinen Ausflügen.«
Der farbige Pfleger tippte gegen seinen Kopf. »Das sagen alle. Die sind doch hier nicht normal.«
»Weiß ich auch, aber Nathan ist mir unheimlich.«
Sein Kollege hob nur die Schultern und machte sich daran, die nächste Zellentür zu öffnen.
Nathan lag auf seiner Pritsche und betrachtete die Wände und die Decke. Für ihn stellten sie keine Hindernisse dar.
Er konnte diesen Raum verlassen, wann immer er wollte. Und wer gedacht hatte, seine Zeit wäre vorbei, der irrte sich.
Im Gegenteil.
Sie fing gerade erst an!
***
Jane Collins saß mir gegenüber und hatte sich schon zweimal über mein Gähnen aufgeregt. Trotzdem gähnte ich ein drittes Mal und schaute sie müde an.
»Willst du in Pension gehen?« fragte sie.
»Warum?«
»Wer so gähnt, dem bleibt eigentlich nur der Ruhestand.«
»Wäre nicht schlecht. Zumindest heute nicht.« Ich wies auf das Fenster. »Schau dir mal das Wetter an. Es ist warm, man könnte irgendwo im Freibad oder an der Küste das kühle Wasser genießen, aber was mach ich statt dessen? Ich hocke hier und…«
»Gähne«, ergänzte Jane.
»Sehr richtig.«
»Dann kann ich ja wieder verschwinden, wenn dich der Flug und die Zeitverschiebung so umgehauen haben.«
»Du vergißt die Hitze.«
»Meinetwegen auch die.«
Ich schaute sie an. »Aber du fühlst dich in Form, wie?«
»Sieht man das nicht?«
Ich grinste sie an. »Klar. Frisch wie der junge Morgen.«
Das war nicht mal übertrieben, denn Jane trug eine wunderschöne Leinenbluse mit halbrundem Ausschnitt, unter dem in einer Reihe die verschiedenfarbigen Knöpfe begannen, wobei die letzten beiden sicherlich unter dem Stoff der hellblauen Sommerjeans verschwunden waren. In den Schlaufen steckte ein brauner Flechtgürtel, passend zu den ebenfalls hellbraunen Flechtschuhen. Die Tür zu Glendas Vorzimmer öffnete sich, und Suko trat ein. Zwischen seinen Fingern hatte er einige Wasserflaschen geklemmt, die beim Gehen gegeneinanderschlugen. Drei Gläser holte er aus einer Schublade seines Schreibtisches hervor.
»Das Wasser soll die Müdigkeit vertreiben«, erklärte er. »Außerdem macht es einen klaren Kopf.«
Jane wies mit dem matt lackierten Nagel des rechten Zeigefingers auf mich. »Gerade das letzte hat er nötig.«
»Tatsächlich?« Suko schaute mich an.
Ich winkte ab. »Hör nicht auf sie. Jane gönnt mir die Stunden im Büro nicht.«
»Ich denke, du hast einen Job«, sagte sie.
»Habe ich auch.«
»Dann tu was.«
Ich schenkte Wasser ein. »Wo läuft die Action?«
»Nirgendwo.«
Ich trank langsam. Danach sagte ich: »Das hört sich schon besser an. Also keine Action, sondern ein privater Besuch, der allein schon Grund genug ist, Feierabend zu machen.«
»Feierabend kommt von Abend. Wir haben erst Mittag.«
»Leider.«
»Und der Besuch ist auch nicht privat«, klärte mich Jane auf, wobei sie süffisant und leicht überheblich lächelte. »Er hat schon seinen triftigen Grund.«
»Um was geht es denn?«
»Ich möchte dich mit in ein Krankenhaus nehmen.«
»Auch das noch.« Ich kriegte plötzlich die fliegende Hitze. »Wer ist denn krank geworden? Lady Sarah etwa?«
»Nein, darum geht es nicht. Der Mann heißt Tim Book.«
»Kenne ich nicht. Du, Suko?«
»Auch nicht.«
»Das habe ich mir gedacht, und deshalb möchte ich euch etwas erzählen, damit ihr eingeweiht seid.« Jane trank noch einen Schluck Wasser und bat uns darum, keine Zwischenfragen zu stellen.
»Hört euch alles an, danach könnt ihr entscheiden.«
Wir waren einverstanden. Während Suko normal saß, hob ich
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