0928 - Das Hexendiadem
Caraman«, wimmerte Jerome. »Was willst du von mir?«
Einen Moment lang starrte ihn Madeleine Brissac verblüfft an. »Der Falsche? Nein, du bist nicht der Falsche. Du bist genau der Richtige und du weißt es auch. Ich will, dass deine Angst unerträglich wird, bei jedem Schritt, den du machst. Das sind mein Lebenselixier und meine Rache. Du und deine Brut, ihr müsst vor Grauen vergehen. Bis ans Ende aller Zeiten.«
Ohne Vorwarnung schlug sie Jerome Dufy gegen den Hinterkopf. Es war, als treffe ihn ein Baseballschläger. Der Blackout kam umgehend.
Der Fahrer eines nachfolgenden Wagens leistete Erste Hilfe und holte Jerome wieder aus der Ohnmacht zurück. Ihm war nicht viel passiert. Der Schlag auf den Hinterkopf schmerzte zwar höllisch, schien aber nicht gefährlich zu sein. Der Jeep war allerdings Schrott. Jerome rief in Maison Caraman an und Monsieur Maurice persönlich holte ihn ab. Er war die personifizierte Sorge und atmete auf, als er sah, dass es Jerome den Umständen entsprechend gut ging. Trotzdem fuhr er ihn zur Untersuchung ins Krankenhaus von Étretat, nachdem er einen Abschleppdienst beauftragt hatte. Die Ärztin hatte keinerlei Bedenken, Jerome gleich wieder nach Hause gehen zu lassen.
»Mach dir nichts draus, Junge«, sagte er gönnerhaft, während sie zurück nach Caraman fuhren. »Kann jedem mal passieren. Aber Blech kann ersetzt werden. Hauptsache, dir ist nichts passiert. Hm, aber du machst immer noch einen so verwirrten Eindruck. Kann ich dir sonst irgendwie helfen?« Er legte ihm kurz die Hand auf den Oberschenkel und lächelte ihn an.
»Nein, Monsieur Maurice, es geht schon wieder, danke«, murmelte Jerome. - Oder soll ich Vater sagen? - »Es ist nur der Schock.«
Monsieur Maurice lieferte Jerome bei seiner Großmutter ab. Dort legte er sich ins Bett. Nicole und Ciranoush besuchten ihn. Stockend, aber doch haarklein erzählte er ihnen alles. Auch Pauline Lamont hörte zu.
»Er scheint doch der Richtige zu sein. Bitte, Madame Lamont, Sie müssen uns alles erzählen, was Sie wissen«, bedrängte Nicole die alte Dame. »Warum glauben Sie, dass die Hexe einem Irrtum unterliegt?«
Pauline Lamont kämpfte mit sich. Tränen traten in ihre Augen und liefen ihr faltiges Gesicht herunter.
»Nein, es ist nicht möglich«, sagte sie dann. »Madeleine Brissac irrt sich, ganz sicher. Du kannst nicht Monsieur Maurices Sohn sein, das ist völlig ausgeschlossen.«
»Ach ja. Und warum? Meine Mutter war eine sehr schöne Frau.«
Pauline Lamont nickte. »O ja, das war sie. Und sie hatte viele Männer. Leider Gottes zu viele. Aber Monsieur Maurice war nicht darunter. Ich verrate euch jetzt ein Geheimnis, das nur wenige hier wissen. Und ich bitte euch, es für euch zu bewahren.«
Sie wartete ab, bis alle nickten. »Monsieur Maurice ist…« Sie senkte unwillkürlich ihre Stimme und verzog den Mund, als rede sie über etwas ganz und gar Abscheuliches. »Monsieur Maurice ist durch und durch homosexuell. Er hat sein ganzes Leben lang noch niemals eine Frau angesehen, geschweige denn angefasst, wenn ihr, äh, wenn ihr wisst, was ich meine.«
Jerome starrte sie an wie einen Geist. Er schluckte schwer. Monsieur Maurices deutliche Zuneigung zu ihm, seine vielen »väterlichen« Berührungen, das war… anders gemeint.
»Monsieur Maurice ist schwul? Ist das wirklich wahr?«, kicherte Ciranoush.
»Aber, aber… Madame Amelie«, stammelte er und war jetzt völlig durcheinander. »Sie sind doch verheiratet. Ich krieg gleich die Krise.«
Grandmaman Lin nickte. »Monsieur Maurice ist die Ehe nur eingegangen, um den gesellschaftlichen Schein zu wahren. Madame Amelie, die aus einem bürgerlichen Haus stammt, war einverstanden, weil sie dafür mit einem Leben in Luxus abgefunden wird. Du bist kein Caraman, mein Junge. Und du solltest künftig aufpassen, wenn dich Monsieur Maurice mal wieder bevorzugt behandelt.«
»Bisher hat er die Grenze der Berührungen nicht überschritten. Und ich denke, er wird es auch nicht tun. Aber wenn ich tatsächlich kein Caraman bin, warum greift mich die Hexe dann an?«
»Ich weiß es nicht, mein Junge. Ich weiß nur, dass sie sich irrt.«
Gott bewahre mich vor Altersstarrsinn , dachte Nicole leicht entnervt.
»Sie sagte mir aber, sie irrt sich nicht und ich wüsste genau, dass ich der Richtige sei«, beharrte Jerome.
»Sie irrt sich. Und sie wird es noch einsehen.«
Von dieser Überzeugung ausgehend weigerte sich Pauline Lamont zunächst noch, etwas Näheres über die Hexe zu
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