093 - Die Toten stehen auf
Sünder und Sünderinnen bei der Bußarbeit gesehen. Es war beeindruckend", gestand Arbir.
„Noch beeindruckender wäre das Erlebnis für dich gewesen, hättest du die Umarmung einer Linken genossen", erwiderte Erggor.
„Die im Getto sind keine Linken mehr", berichtigte Elmgo. „Sie sind bekehrt."
„Wie auch immer. Das sind auf jeden Fall noch richtige Frauen. Die wissen einen Mann zu schätzen und behandeln ihn nicht von oben herab und wie ein notwendiges Übel. Die Frauen dort haben Feuer, sind voll von Leben. Wenn ich sie mit unseren kalten Priesterinnen vergleiche… Wenn der Schneesturm vorbei ist, dann kehren wir nach Ys zurück, und ich werde euch zeigen, welche Freuden das Getto zu bieten hat."
Sie tranken das Blut eines vierten Schweins und waren noch berauschter.
„Ladet ihr uns nicht zu euerm Umtrunk ein?" fragte da eine helle Frauenstimme.
Eine schlanke Gestalt tauchte aus dem Schneesturm auf. Es war eine Frau. Sie hatte die linke Hand verbunden. Hinter ihr erschienen vier weitere Frauen. Auch sie trugen Bandagen aus Pflanzenfasern und Tierriemen um die linken Hände.
„Ihr - kommt aus dem Getto?" entfuhr es Arbir überrascht.
„Jawohl", bestätigte die Sprecherin der fünf Frauen. „In Ys ist man in Sorge um euch. Manche Priesterinnen haben die Prophezeiung gemacht, daß ihr nicht mehr lebend zurückkommen werdet. Andere wieder machten lächerliche Beschwörungen, die euch wohlbehalten zurückbringen sollen.
Doch während die anderen untätig sind, haben wir gehandelt. Wir sind gekommen, um euch zu wärmen. Schlachtet noch ein Opfertier, dann werden wir euch zeigen, welche Freuden man seinem Fleisch und Blut abgewinnen kann! Und ihr werdet sehen, daß Frauen Männern höchstes Glück bieten können."
„Wohlan, Männer!" rief Erggor. „Jetzt könnt ihr euch davon überzeugen, daß ich euch nicht zuviel versprochen habe."
Und während die Männer das nächste Opfertier holten, befreiten sich die Frauen von den Fesseln an den linken Händen.
Dahut sank im Tempel in tiefen Schlaf. Die Priesterinnen labten sie die ganze Zeit über. Dahut schlief, solange der Schneesturm dauerte. Dabei fieberte sie. Speichel trat ihr vor den Mund.
Einmal durfte ihr Vater sie besuchen; doch auch Hermon konnte ihr nicht helfen; aber er beruhigte die besorgten Priesterinnen.
„Sie hat sich freiwillig in diesen Zustand versetzt", sagte er. „Sie träumt nur. Wenn sie wieder aus ihrer Traumwelt erwacht, wird es sein, als wäre nichts geschehen."
Aber da irrte Hermon.
In dieser Nacht tobte der Schneesturm am heftigsten. Am Morgen brach die Sonne durch die Wolken und beschien eine Eislandschaft.
Dahut erwachte.
„Ich hatte einen Wahrtraum", verkündete sie. „Einen Traum von Blut, Tod und Weltuntergang. Schatten fallen auf Ys. Niemand kann ihnen entrinnen."
Die Priesterinnen versammelten sich um Dahut und lauschten gebannt ihrer weiteren Erzählung.
„Da ist ein Fels mit neunundvierzig Näpfchen. Unter diesem Fels haben unsere fünf vermißten Hirten Unterschlupf gesucht. Sie wären erfroren, hätten sie nicht Blut getrunken. Doch damit haben sie sich den Mächten der Finsternis ausgeliefert. Und so hatte ER leichtes Spiel mit ihnen. Er nahm das Blutopfer an und besiegelte den Pakt selbst mit Blut. Er - Luguri füllte die neunundvierzig Felslöcher mit dem Blut der fünf Hirten - und kein Tropfen ging daneben. Zwei Tage und zwei Nächte werden die Näpfchen mit Blut gefüllt sein."
Die Priesterinnen waren erschrocken und beeindruckt zugleich.
„Noch nie hat jemand diese gewaltige Leistung mit Milch vollbracht."
„Das könnte auch niemand aus Ys."
„Doch, Hermon, unser Herrscher, würde diese Leistung erbringen."
„Das muß er erst beweisen."
Dahut schien zufrieden zu lächeln. Sie brachte die Priesterinnen durch eine Handbewegung zum Schweigen. „Holt meine Sänfte! Ich werde euch zu dem Ort führen, wo mein Traum gespielt hat." Vier kräftige Männer trugen die Sänfte mit Dahut. Dahinter folgten zwanzig Priesterinnen. Begleitet wurde diese Prozession von zehn Kriegern, deren Waffen - Pfeilspitzen, Klingen, Steindolche und - beile - mit magischen Symbolen versehen waren; diese waren auf Linkshänder abgestimmt und sollten sie töten.
Hermon hatte vom Traum seiner Tochter gehört und zweifelte nicht daran, daß er wahr war. Er sah von seiner Hütte aus dem Zug aus der Stadt nachdenklich nach. Hermon war sicher, daß Luguri zum alles entscheidenden Kampf rüstete. Die Vorzeichen waren
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