0944 - Die Brücke zur Anderswelt
Deneuve, ich befürchte, dass Sie sich der ernsten Lage noch immer nicht bewusst sind. Ich bin ein geduldiger Mensch, wissen Sie. Aber ich lasse mich nicht gerne zum Narren halten. Und auch meine Geduld hat ihre Grenzen.«
Was ist denn das für ein Spinner? Wahrscheinlich verwechselt er mich doch mit jemandem. Ich werd's sicher noch erfahren. Jetzt mache ich aber erst mal wieder einen auf abhängig.
»Bitte, Mister. Ich brauche den Stoff.«
Minamoto mischte sich ein. »Hören Sie, San, Madame Deneuve weiß wirklich nicht, wovon Sie sprechen. Sie ist erst kurze Zeit im Land. Es muss sich um eine Verwechslung handeln.«
Der Gangster trat vor Minamoto hin. Der Tritt in dessen Seite kam ansatzlos. Minamoto schrie auf und krümmte sich. Zwei weitere Tritte folgten. Nur mit Mühe konnte Nicole sich beherrschen, sich auf den Rücken fallen zu lassen und dem Brutalo ein paar Fußtritte zu versetzen.
»Hatte ich dich etwas gefragt, Bakayaro (Japanisch für ›Vollidiot‹)? Du redest nur, wenn ich es dir erlaube, verstanden?«
»Ja, San«, wimmerte Minamoto.
Der Yakuza wandte sich erneut Nicole zu. »Wissen Sie, Miss Deneuve, ich bin mir sicher, dass ich keinem Irrtum unterliege. Natürlich sind Sie erst seit einigen Tagen in unserem wunderschönen Land. Das weiß ich wohl, denn ich weiß alles.«
Einen Scheiß weißt du. Ich heiße immer noch Duval…
»Zum Beispiel weiß ich, dass der Geheimbund Mankiko existiert. Und ich weiß, dass Sie eine der Führerinnen Mankikos sind und das Große Geheimnis kennen. Und da will mir dieser Doji(Japanisch für ›Trottel‹) neben Ihnen allen Ernstes weismachen, es handle sich um eine Verwechslung?«
»Ja. Ich kenne keinen Geheimbund Mankiko . Was soll das sein? Und ich bin kein Mitglied. Ehrenwort, Mister. Bitte, geben Sie mir jetzt neuen Stoff.«
Die Augen des Yakuza-Führers verengten sich gefährlich. »Also gut, Miss Deneuve, ich sehe, dass Sie ernstlich angeschlagen sind. Genießen Sie ein wenig Nachtruhe, dann frage ich Sie erneut. Vielleicht fällt es Ihnen bis dahin ja wieder ein, was ich wissen will. Die versprochene Belohnung gibt es natürlich nicht.«
Die Männer verschwanden aus der Hütte.
Nicole blieb tierisch brüllend zurück, hielt aber langsam ein, als Minamoto schmerzhaft das Gesicht verzog.
»Wissen Sie, was der Kerl von mir will?«, fragte sie nach einigen Minuten leise. »Sagt Ihnen dieser Mankiko -Bund etwas?«
»Nein, nie gehört«, gab Minamoto ächzend zurück. Blut lief aus seinen Mundwinkeln. Anscheinend hatten ihn die gemeinen Tritte auch im Gesicht erwischt.
***
Mehrere Stunden waren seit den Misshandlungen des Yakuza-Führers vergangen. Nicole wusste nicht, ob es sich bereits um diesen Hasebe-san handelte, der sie nach Aussage eines der Gangster sehen wollte, es war ihr auch ziemlich egal im Moment. So langsam knurrte ihr Magen wie ein ganzes Löwenrudel, ihr Mund fühlte sich pelzig und ausgedörrt an, da sie weder zu essen noch zu trinken bekamen. Minamoto ging es wahrscheinlich noch schlimmer als ihr. Immer mal wieder wimmerte er vor sich hin.
Nicole schlief ein. Irgendwann weckte sie ein leises Poltern. Sie fuhr hoch, war sofort hellwach. Minamoto schien ebenfalls eingeschlafen zu sein, denn er schnarchte leise. Plötzlich öffnete sich die Tür. Nicole erstarrte. Ein Mann huschte in den Raum. Er trug einen schwarzen Kampfanzug und eine Skimaske, die nur Augen und Mund freiließ. Mit einem Kampfmesser schnitt er die Fesseln der beiden Gefangenen durch. Minamoto erwachte dabei. Er wollte aufschreien, als er den Maskierten vor sich sah. Der schickte den Unglücklichen mit einem dosierten Faustschlag an die Schläfe sofort wieder ins Reich der Träume.
Dann sah er Nicole an und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Bewusstlosen. » Sumimasen (Japanisch für ›Entschuldigung‹), aber es musste sein. Los, nehmen Sie ihn und hauen Sie ab«, flüsterte er mit seltsam dumpfer Stimme in schauderhaftem Englisch. Nicole war nicht sicher, ob sie alles verstand. »Im nächststehenden Jeep finden Sie Waffen und Proviant. Fahren Sie den Dschungelpfad zurück. Es gibt nur diesen. Wir befinden uns auf den Gebirgszügen von Tohoku. Sie kommen also irgendwann bei den großen Reisterrassen, die der Stadt Sendai vorgelagert sind, aus dem Wald. Ich schaue, dass ich Sie von hier aus unterstützen kann. Ich muss weg. Beeilen Sie sich.« Geschmeidig drehte er sich.
»Wer sind Sie?«
Der Maskierte schaute nervös zur Tür. »Soll ich jetzt etwa lange
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