0948 - Leonoras Alptraumwelt
mich fest, und plötzlich fragte ich mich, ob die anderen und ich noch ein normales Weihnachtsfest erleben konnten oder ob die Kraft dieser verdammten Voodoo-Hexe stärker war.
Gläser und Flaschen standen auf dem Tablett. Ich brauchte es nur zu nehmen und in den Wohnraum zu tragen, aber ich zögerte. Meine Hände blieben neben dem Untersatz liegen, denn urplötzlich hatte mich wieder die Stimme erwischt.
Wie eine Säge war sie in meinen Schädel regelrecht hineingeschrillt, und ich krampfte mich zusammen. An der Kante der Arbeitsplatte hielt ich mich fest.
»Sinclair, denk nur nicht, daß ich aufgegeben habe. Durch Glück seid ihr entwischt, aber es geht weiter, darauf kannst du dich verlassen. Ich weiß, daß ihr euch jemanden ins Haus geholt habt, aber ob er euch helfen wird, muß sich noch herausstellen. Ich glaube nicht daran, denn bisher habe ich jeden geschafft. Hörst du? Jeden!«
Ich konnte diesmal sprechen, auch wenn ich Mühe hatte, die Worte zu formulieren. »Verdammt noch mal, zeig dich endlich, Leonora! Hast du Furcht davor, doch noch verlieren zu können? Hast du Angst vor dem Kreuz, das dich dann vernichtet?«
Sie lachte, weil sie ihren Spaß hatte. »Nein, ich habe keine Angst. Jeder kämpft auf seine Art und Weise, Sinclair, das verspreche ich dir. Jeder muß das tun, was er für richtig hält. Du hast dich für den einen Weg entschlossen, ich bin den anderen gegangen, und ich werde siegen, daran gibt es nichts zu rütteln.«
»Nein!« knirschte ich.
»Du wirst es erleben.«
Danach war die Stimme wieder weg. Schlagartig.
Ich hörte nur mein eigenes, heftiges Atmen, das laut durch die Küche drang. Wieder lag im Magen dieser verfluchte Kloß. Das fühlte ich, und wieder befürchtete ich Schlimmes.
Noch immer hatte ich nicht das Tablett angehoben. Das wollte ich, aber ich kam nicht dazu, denn auf einmal startete die Voodoo-Hexe ihren zweiten Angriff.
Etwas packte mich.
Ich stand, aber ich wurde von mir selbst weggetragen und fühlte mich, als gäbe es mich zweimal.
Es war wieder alles anders. Die Phantasie hatte den Verstand übernommen. Dabei wurde mir heiß.
In meinem Innern rollte sich etwas hoch, das stromgleich meinem Kopf entgegenfloß. Es mußte dieser verdammte Trank sein, doch das war nur ein flüchtiger Gedanke. Ich blieb in der Mitte der Küche stehen, schaute gegen die halb geschlossene Tür.
Trotzdem sah ich das Zimmer. Barry F. Bracht lag auf der Couch und schlief tief und fest. Die anderen saßen zusammen am Tisch. Shao, Glenda und Suko.
Die drei waren gespannt, doch einer von ihnen saß anders da als die Frauen.
Suko machte den Eindruck, als wollte er sich jeden Moment erheben, als wartete er nur auf ein bestimmtes Signal oder einen bestimmten Zeitpunkt.
Ich sah dies alles, stellte es mir vor und merkte auch, wie meine Lippen anfingen zu zucken, und zugleich trat mir der Schweiß auf die Stirn.
Dann stand Suko auf.
Endlich.
Diese Lösung gefiel mir. Ein Lächeln huschte über meinen Mund.
Meine Augen wurden wieder klar, aber ich spürte, daß es nicht mein normaler Blick war. Ich wünschte mir etwas Schreckliches herbei, und dieser Wunsch schien allmählich in Erfüllung zu gehen, denn Suko, der nun zwischen Tisch und Stuhl stand, starrte einzig und allein in eine Richtung.
Er schaute den schlafenden Barry F. Bracht an.
Natürlich hatten auch Glenda und Shao gemerkt, was mit Suko geschehen war. Sie hatten ihn aufstehen lassen, wenig später jedoch zeigten sie sich aufgrund seiner Reaktion schon ein wenig befremdet, weil er sich so gar nicht um sie kümmerte, sondern sich einzig und allein auf den liegenden Barry F. Bracht konzentrierte.
Weiter! Weiter - dachte ich. Er soll ihn fertigmachen. Ich wollte Blut sehen, ich wollte alles noch schärfer und brutaler haben. Es mußte so sein.
Noch stand Suko. Die beiden Frauen saßen. Sie blickten von unten her in sein Gesicht, dessen Ausdruck ihnen nicht gefallen konnte. Er war nicht mehr menschlich, er war wächsern und hart geworden, und vor allen Dingen zeigte sich Shao befremdet.
»Suko«, mit weicher Stimme sprach sie ihn an. »Herrje, Suko, was ist los mit dir?«
Sie erhielt keine Antwort.
»Es ist wieder soweit!« hauchte Shao. Sie blickte an Suko vorbei. »Wir müssen etwas tun!«
»Was denn?«
»John holen!«
Shao überlegte nicht lange. »Ja, das ist richtig. Nur er kann ihn stoppen.« Sie schob ihren Stuhl zurück, um mehr Platz zu haben, aber dann blieb sie stehen. »Nein«, sagte sie, »nein, das
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