095 - Rebellion der Regenwuermer
Doktor, und Abstand zu den Geschehnissen gewinnen.“
„Wie Sie meinen, mon Commandant“, versetzte Laparouse kühl. „Sie sind der Expeditionsleiter und damit allein verantwortlich.
Ich weiß allerdings nicht, ob Ihre Entscheidung im Sinne von Professor Juillard liegt. Ich habe schließlich mein Aufgabengebiet als Expeditionsarzt und Wissenschaftler. Wenn Sie für den Rest Ihrer Unternehmungen ohne Mediziner bleiben, können Sie möglicherweise Schwierigkeiten bekommen. Aber wie gesagt, es liegt bei Ihnen.“
„Das will ich meinen, Doktor Laparouse!“ Es klang schon wieder scharf und zurechtweisend. „Das lassen Sie nur meine Sorge sein. Sie sind für uns unter den gegebenen Umständen nur eine Belastung, zudem Sie als Arzt versagt haben.
Zwei Menschen sind gestorben, nur weil Sie sich nicht um sie gekümmert haben. Und ich werde schon einen Ersatz für Sie finden. Im übrigen haben wir Farvieu. Er ist Sanitäter und kann schlimmstenfalls helfen.“
Trotz der Ungeheuerlichkeit der Anschuldigungen nickte Laparouse nur knapp, drehte sich dann wortlos um und stieg in den Wagen.
Wieder im Lager angekommen, warf er als erstes einen Blick auf die mit einem Laken zugedeckte Leiche des Meteorologen. Er hätte viel darum gegeben, sie sezieren zu können, aber das hätte Legrand nie zugelassen. Er vermochte es jedoch so einzurichten, daß er mit einem Skalpell eine winzige Gewebeprobe entnahm – von einer Stelle hinter dem linken Ohr. Die Haut des Toten wirkte jetzt wieder glatt und makellos, die schwarzen Beulen und Flecken konnte man bestenfalls noch ahnen. Doch die Haltung der Leiche war seltsam verkrampft, so, als sei Patoux an einer starken Dosis Gift gestorben. In diesem Moment fiel Dr. Laparouse seine eigene Wunde am Arm wieder ein. Betroffen stellte er fest, daß sie verschwunden war.
Kopfschüttelnd kehrte der Arzt in das ehemals gemeinsame Zelt zurück, in dem er nun als einziger Überlebender wohnte. Für den Rest der Nacht verfolgten ihn Alpträume. Er warf sich unruhig auf seinem Lager hin und her, fand kaum Schlaf, wurde dafür aber von schaurigen Visionen geplagt.
Im Laufe des kommenden Vormittags zogen sich tief schwarze Gewitterwolken im Westen und Süden zusammen. Sie verdichteten sich rasch, und als die Männer bei Tisch saßen, begann es zu regnen. Es schüttete fast drei Tage nahezu ununterbrochen, und so stark, daß man kaum von einem Zelt ins andere gehen konnte. Die Steppe schien zu ertrinken, in den Tälern schäumte und toste es, und um ein Haar wäre das gesamte Lager weggespült worden. Würmer zeigten sich seltsamerweise keine. Nach den Wolkenbrüchen dauerte es noch mal fast eine Woche, bis das aufgeweichte Erdreich wieder so fest war, daß es eine motorisierte Bewegung erlaubte. Legrand gab dann den Befehl zum Aufbruch, und man fuhr durch eine verwandelte Landschaft, in der überall frisches Grün wuchs. Allerdings waren die Wege immer noch großenteils unpassierbar, und mehr als einmal versanken die Wagen bis über die Achsen im Schlamm.
Die Ankunft in Fort Lamy, der Hauptstadt von Niger, gestaltete sich zu einem Triumphzug. Regierung und Bevölkerung feierten die Regenmacher wie Götter und vollführten Freudentänze entlang des weit über die Ufer getretenen Flusses, den sie jahrelang nur als halb ausgetrocknetes Rinnsal kannten. Jung und alt stürzte sich übermütig in die Fluten und planschte. Die Leute schienen es einfach nicht fassen zu können, daß es auf einmal wieder Wasser in Hülle und Fülle gab.
Legrand wußte die Situation auszunutzen und sich in den Mittelpunkt zu stellen. Bei einem Bankett, das der Staatspräsident zu Ehren der Expedition gab, glänzte er in Galamontur mit allen Orden und Ehrenzeichen.
Dr. Laparouse nahm an diesem Fest nicht teil, er befand sich bereits auf dem Heimflug nach Frankreich. Er sah die entsprechenden Aufnahmen in einer Zeitung, die er in dem Flugzeug erhielt, das ihn von Dakar nach Paris bringen sollte. Er legte das Blatt beiseite und blickte aus dem Fenster. Zehntausend Meter unter sich sah er die gelbbraune Unendlichkeit der algerischen Sahara. Plötzlich traute er seinen Augen nicht. Ein gigantischer Höllenwurm, vielleicht kilometerlang, räkelte sich da unten, hieb mit den Tatzen um sich und spie Feuer.
Im nächsten Moment war die Vision verschwunden, dafür aber glaubte Laparouse ein riesengroßes Gesicht zu sehen. Zuerst war es die Physiognomie Molards, dann nahm es die Züge von Patoux an und schließlich die von Legrand.
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