0951 - Die Exorzistin
versprochen, auf ihrem schwersten Gang an ihrer Seite zu bleiben.«
»Wie Sie meinen«, sagte ich.
Die Oberin ging an uns vorbei. Mit zwei, drei schnellen Schritten hatte sie ihren Schützling eingeholt, blieb auch an Angelinas Seite und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie sprach flüsternde Worte gegen ihr Ohr, die wir nicht verstanden, und auch die junge Frau zeigte keine Reaktion.
Wir schlossen uns den beiden an.
Während die Oberin ging, drehte sie sich um. »Ich vermute, daß Sie wissen wollen, wohin wir gehen werden. Zunächst in die kleine Kapelle, von dort gibt es eine Verbindung zu unserem Haus!«
»Und dann?« fragte ich.
»Warten Sie es ab, meine Herren.«
Es blieb uns nichts anderes übrig, und wir gingen durch den leeren Gang. Wieder begegnete uns keine weitere Nonne, doch sicherlich lauerten noch Überraschungen auf uns.
Draußen hatte die abendliche Dämmerung den Tag abgelöst. Dieses düstere Grau paßte zu unserer Stimmung, denn wir würden sehr bald etwas erleben, das bis dicht an die Existenz des Menschen heranging und auch schwer zu begreifen war.
Der Flur endete, wie hätte es auch anders sein können, vor einer Tür. Sie war schmal, sie bestand aus hellem Holz und war mit Schnitzereien verziert worden, die allesamt Gesichter mit traurigen und leidenden Ausdrücken zeigte.
Das mußte die Tür der Kapelle sein, und das war sie auch, denn wenig später befanden wir uns in der kleinen Kirche, in der eine ungewöhnliche Atmosphäre herrschte.
Ungewöhnlich deshalb, weil es nicht richtig dunkel, aber auch nicht normal hell war.
Es gab Licht, das stammte von den dicken Kerzen, die strategisch günstig verteilt standen, so daß sie ihre Lichtinseln vereinigten und nur wenige dunkle Stellen blieben.
Der Altar war zwar klein, sah aber sehr wertvoll aus, was an den Bildern liegen mußte, die als Triptychon hinter der Altarplatte aufragten und der Muttergottes geweiht waren. Der Altar lag voll im Kerzenlicht.
Die wenigen Bänke bildeten nur eine Reihe. Sie bestanden aus dunklem Holz und waren an den Rändern mit Schnitzereien verziert. An den Wänden entdeckten wir die Bilder der einzelnen Kreuzweg-Stationen.
Die beiden Frauen schritten auch jetzt vor uns her. Während sich die Oberin normal bewegte, ging Angelina geduckt und mit krummem Rücken. Sie erinnerte mich dabei an eine Büßerin.
An der hinteren Sitzreihe gingen wir entlang und hielten den Abstand zu den vor uns herschreitenden Frauen gleich. Ab und zu streifte uns das warme Licht einer Kerzenflamme oder fuhr wie ein huschender Schatten an den Augen entlang.
Es sprach keiner von uns. Auch die gebeugt gehende Angelina sagte kein Wort. Sie ließ sich von der Oberin führen, die eine Hand in der Armbeuge des Schützlings geschoben hatte.
»Bin gespannt, wo es hier zum Keller geht«, wisperte ich Suko zu, der nur die Schultern hob und mir keine Antwort geben konnte. Einen Zugang sahen wir nicht, dafür jedoch eine Tür, die sich direkt neben einer Nische befand, auf deren halbhohem Sockel eine Heiligenfigur ihren Platz gefunden hatte.
Während die Oberin die Tür aufzog, blieben wir neben der Figur stehen. Auch ihr Gesicht zeigte einen leidenden Ausdruck, als wollte sie eine Religion vermitteln, in der es kaum eine Freude gab.
Schwester Martha zog die Tür auf. Ich hatte mich auf die Zehenspitzen gestellt, um über ihren Kopf zu schauen. Mein Blick fiel in einen kleinen Raum, möglicherweise eine Sakristei, aber dafür war er zu klein, mehr eine große Nische mit einer Plattform, an deren rechter Seite eine Treppe begann.
Sie führte in den Keller!
Vor der Treppe waren die beiden Frauen stehengeblieben, auch wir blieben im Schatten der Tür. Die Oberin drehte sich um. Neben ihr stöhnte die gebückt wartende Angelina. Ich konnte mir vorstellen, daß sie wieder Blut schwitzte. Sie hielt das dunkle Kreuz so fest umklammert, als wollte sie das Holz zerbrechen.
Die Oberin drehte sich um. Aus ernsten Augen schaute sie uns an. »Wir stehen hier vor dem letzten Gang. Sicherlich haben Sie schon bemerkt, wie schlecht es Angelina geht. Sie leidet. Der Druck auf sie ist ungemein stark, aber sie weiß auch, daß sie diesen Weg gehen muß, denn es gibt nur den einen.«
»Wir haben verstanden.«
»Das ist gut.« Die Oberin flüsterte ihrem Schützling noch etwas ins Ohr, erntete jedoch keine Reaktion. Erst als sie ihre Hand gegen den Rücken der jungen Frau drückte, da setzte sich Angelina in Bewegung. Zum Glück war an der rechten
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