0972 - Finsteres Erbe
doch der Wald war zu dicht, als dass er jemanden hätte entdecken können.
»Man beobachtet uns«, flüsterte Nicole ihm zu.
»Die Rauchtentakel?«
»Glaube ich nicht. Die haben das letzte Mal auch eher die brachiale Variante bevorzugt.«
Zamorras Blick fiel auf ein Dickicht aus Blättern und Zweigen. Von dort, aus einer Lücke zwischen dem Gestrüpp, starrte ihnen das Gesicht eines Mannes entgegen.
Als er bemerkte, dass man ihn entdeckt hatte, weiteten sich seine Augen. Er wirkte eher erschrocken als gefährlich. Und plötzlich war er verschwunden.
Ohne darüber nachzudenken, rannte Zamorra los. »Da war jemand!«
An eine Falle glaubte er nicht. Dazu war ihm der Fremde zu entsetzt erschienen. Vielleicht war dieser aber auch nur ein guter Schauspieler. Sei’s drum! Wenn sie Erfolg haben wollten, mussten sie etwas riskieren.
Der Professor hatte schon erwogen, mithilfe des Amuletts ein Weltentor zurück in die Heimat zu errichten. Doch seit Merlins Tod und der Neujustierung der Silberscheibe bedurfte es dafür eines enormen Kraftaufwands. Er war sich nicht sicher, ob er - falls er es überhaupt öffnen konnte - es lange genug aufrechtzuerhalten vermochte. Die Vorstellung, dass Nicole es durchschritt und das Tor in diesem Augenblick zusammenbrach und seine Geliebte in der Mitte zerteilte, hielt ihn davon ab, es zu wagen.
Doch das Hauptproblem war, dass er glaubte, das Rätsel des Meeresschlunds nur von dieser Seite aus lösen zu können. Wenn sie zurück in ihre Welt flohen, bestand die Gefahr, dass sich der Abgrund immer weiter ausdehnte.
Direkt vor dem Dickicht blieb er stehen und fluchte. Von hier aus fand er keinen Zugang. Also rannte er um das Gewirr aus Ästen herum und verlor wertvolle Zeit. Als er auf der anderen Seite angelangte, war von dem Mann nichts mehr zu sehen.
Dennoch hetzte Zamorra tiefer in den Wald hinein. Gelegentlich glaubte er, ein Schemen zwischen den Bäumen zu erkennen, einen flatternden Mantel, einen huschenden Körper, aber es konnte sich genauso gut um Äste handeln.
Die Umwelt schien sich in ein lebendes Wesen verwandelt zu haben, das ihn daran hindern wollte, voranzukommen. Zweige strichen ihm durchs Gesicht, fuhren in seine Haare und rissen daran, zupften an seiner Kleidung. Bäume stellten sich ihm in den Weg, bildeten ihre Wurzeln zu Stolperfallen aus.
Aber Zamorra ließ sich nicht aufhalten.
Unvermittelt änderte sich die Szenerie. Gerade eben noch kämpfte er sich durch dichten Wald und plötzlich öffnete sich dieser zu einer weiten Lichtung. Verblüfft blieb er stehen. Da traf ihn ein Schlag in den Rücken, der ihn zwei Schritte vorwärtstaumeln ließ.
»Brems doch nicht so überraschend ab«, schimpfte Nicole.
Auch April und ihre Crew brachen aus dem Wald.
Marconi schnaufte wie eine Dampflok. »Warum genau sind wir Ihnen hierher…?« Der Rest der Frage blieb ihm im Hals stecken. Offenbar hatte er das entdeckt, was auch Zamorra sofort ins Auge gefallen war.
Im Zentrum der Lichtung stand ein riesiger, ungleichmäßig geformter schwarzer Felsen. Er überragte die Bäume sicherlich noch einmal um zwei oder drei Meter. Der Umfang reichte an ein großes Einfamilienhaus heran. Seine Oberfläche glänzte feucht. Tatsächlich bemerkte der Professor, dass an einigen Stellen eine ölige Flüssigkeit herabtropfte und sich in einer tief schwarzen Pfütze sammelte.
»Der Stein schmilzt!«, sprach Munro den Eindruck aus, der sich auch Zamorra aufdrängte.
Im ersten Moment erinnerte das Phänomen den Parapsychologen an den schwarzen See in der Sphäre in Kolumbien. Doch dann spürte er die Ausstrahlung des Felsens. Und plötzlich wusste er auch, warum ihm die Landschaft so vertraut vorkam, die Bäume, die Blumen.
Er trat einen Schritt auf das schwarze Ungetüm zu.
»Vorsicht!«, mahnte April. Vermutlich hatte ihr Dämonenspürsinn angeschlagen.
Zamorras Amulett hingegen blieb kalt. Keine große Überraschung. »Erinnerst du dich noch an meine geistige Zeitreise?«, fragte er Nicole. »Die, bei der ich die Reinigung der Erbfolge erlebt habe?«
»Du hast davon erzählt.«
Der Professor nickte. Natürlich! Nici hatte damals zeitweilig nicht auf Château Montagne gelebt. Vor beinahe einem Jahr war sie zu ihm zurückgekehrt und inzwischen erschien ihm die Zeit der Trennung wie ein böser Traum. Manchmal musste er überlegen, ob Nicole bestimmte Ereignisse nur aus seinen Berichten kannte oder ob sie tatsächlich dabei gewesen war.
Zamorra entschloss sich zu einer
Weitere Kostenlose Bücher