0976 - Flügel des Todes
höllischen Thronsaal in all den Jahren nicht vergessen.
Stygia zischte. »Bist du ein Hund oder ein Dämon?« Einen willenlosen Speichellecker konnte sie für ihre Pläne nicht brauchen. Davon hatte sie in der Vergangenheit schon zu viele gehabt - mit bekanntem Resultat.
Die Dämonin trat einen Schritt auf Sergol zu, der demütig das Haupt vor ihr beugte. »Sieh mich an«, befahl sie. Roh griff sie ihm unter das Kinn und drückte seinen Kopf nach oben, bis er ihr direkt in die Augen starrte.
Widerstrebend gehorchte Sergol. Seine Pupillen waren blutrot. Kreatürliche Angst zeigte sich darin. Wieder spürte Stygia, wie sie der Zorn über das kriecherische Verhalten des Dämons zu übermannen drohte, doch sie riss sich zusammen. Für einen Moment wurde ihr rabenschwarzes Herz fast weich. Sergol hatte mit dem Verschwinden der Hölle, wie alle Dämonen, seine Heimat verloren. Er war mithin gefangen auf dieser erbärmlichen Welt der Sterblichen. Ja, Sergol hatte allen Grund, Angst zu haben. Und, wenn Stygia ehrlich zu sich selbst war, manchmal erging es ihr da durchaus ähnlich.
Die Miene der Dämonin wurde sanfter.
»Du hast mir einmal von einem Plan erzählt, Sergol«, erinnerte sie ihn. »Du weißt doch, welchen Plan ich meine?«
Sie konnte förmlich sehen, wie die Hirnzellen des Dämons ihre Arbeit aufnahmen. Schließlich nickte er langsam. »Zamorra«, antwortete er stockend. »Du willst es mit dem Dämonenjäger aufnehmen?«
»So ist es«, bestätigte Stygia. »Jetzt, da unsere Heimat vergangen ist, wird er sich sicher glauben. Unsere Chancen waren noch nie so gut wie in diesen Tagen!«
Sergols Miene zeugte von Skepsis.
Stygia trat einen Schritt zurück. Sie streichelte dem Dämon über die Wange, dann streckte sie ihm den Handrücken entgegen.
»Die Hölle ist vernichtet«, erklärte sie. »Es gibt niemanden mehr, der dort regieren könnte. Akzeptierst du mich dennoch als deine Herrin?«
Sie hätte ihn auch einfach mittels geistigem Zwang unterwerfen können, damit er ihre Pläne unterstützte, doch der Gedanke widerstrebte ihr aus irgendeinem Grund. Unendlich langsam nickte Sergol. Er beugte sich auf dem Grabstein nach vorne und berührte mit seinen faltigen, feuchten Lippen Stygias Handrücken. Als er aufblickte, hatten seine Augen zu leuchten begonnen.
»Ich folge dir, wohin du auch gehen magst«, erklärte er.
***
Gegenwart
Ein spitzer Schrei zerriss die Nacht und ließ den Kopf des Dämons hochrucken.
Gerade hatte er sich noch hingebungsvoll schmatzend mit den Körpern der beiden von ihm erlegten Polizeibeamten beschäftigt, doch nun waren die bereits erkaltenden Kadaver vergessen.
Sergol - denn um niemand anderen handelte es sich - nahm Witterung auf. Er wusste, irgendwo hier trieben sich Zeugen seiner Mordtaten herum und diese galt es aufzuspüren und auszuschalten. Seine Nasenflügel blähten sich auf.
Der kleine Dämon leckte sich über die blutigen Lippen. Seine Augen funkelten, als er die umstehenden Häuser ins Visier nahm. Aus einem von ihnen war der Schrei gekommen, soviel witterte er ganz deutlich. Ein Mann und eine Frau, erkannte Sergol, beide jung und zweifelsohne ebenso zart wie schmackhaft!
Der Schrei war abrupt verstummt. Offenbar hatte man bemerkt, dass man so die Aufmerksamkeit des Dämons auf sich gelenkt hatte.
Sergol kicherte boshaft.
Die Herrin hatte ihn hier im Ort gewissermaßen als Nachhut zurückgelassen.
»Halte dich bereit«, waren ihre Worte gewesen. Stygia hatte das Schloss in den Tagen zuvor ausgespäht und wusste, dass sich gegenwärtig nur drei Personen dort aufhielten, nämlich der Butler, sowie natürlich Zamorra und seine Partnerin. Und manchmal die Köchin, doch diese war nur tagsüber im Château.
Nun, da die Besessenen auf dem Château für Trubel sorgten, wollte sich Stygia das Geschehen aus der Nähe ansehen, um dann im geeigneten Moment zuzuschlagen. Er selbst wartete quasi nur auf das Startsignal!
Um die potenziellen Opfer besser wahrnehmen zu können, erhob sich Sergol mit flatternden Flügeln in die Lüfte und schwebte kurz darauf unmittelbar über dem Dorf. Dass die Herrin ausgerechnet an ihn herangetreten war, empfand der kleine Dämon als unfassbare Gnade. Wenn er bedachte, wie er sich damals in ihrem Thronsaal aufgeführt hatte, wurde er immer noch blass vor Scham.
Damals hatte er keine allzu hohe Meinung von Stygia gehabt. Ihre ständigen Misserfolge stempelten sie zur Versagerin. Aber das Bild hatte sich seither gewandelt. In ihrer Zeit
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