0976 - Flügel des Todes
auf blitzen. Sie löste ihren Griff. Keuchend brach Sergol in die Knie. Nachdem er mühsam wieder zu Atem gekommen war, blickte er demütig zu ihr auf.
»Du darfst gehen, Sergol«, erklärte die Fürstin der Finsternis großzügig. »Gleichwohl werde ich deine Pläne im Hinterkopf behalten. Vielleicht haben wir irgendwann noch einmal tatsächlich Verwendung dafür.«
Sergol nickte hastig. »Danke, Herrin«, brachte er hervor. Er wagte es nicht, sich wieder aufzurichten, sondern kroch auf allen Vieren aus dem Thronsaal.
Grinsend ließ sich Stygia wieder auf dem Knochenthron nieder und beobachtete seinen kläglichen Abgang. Der Plan, den Sergol ausgeheckt hatte, gefiel ihr trotz ihrer ablehnenden Haltung, aber zurzeit hatte sie wirklich andere Sorgen. Immerhin wusste sie nur zu gut, wie man hinter ihrem Rücken gegen sie intrigierte. Nein, im Moment musste ihre ganze Aufmerksamkeit der Hölle gelten!
Stygia machte eine kompliziert aussehende Geste. Sofort baute sich ein magisches Projektionsfeld vor ihr auf. Es war an der Zeit, einmal zu überprüfen, was ihre Untergebenen denn so anstellten.
Lässig lehnte sie sich zurück, um das bunte Treiben genauestens zu betrachten. Bereits nach wenigen Minuten verschwand der Besuch des vorlauten Sergol aus ihrem Bewusstsein und geriet für viele Jahre in Vergessenheit…
***
Nach dem Wiedererwachen Stygias
Die abendliche Alexander-Newski-Kathedrale war eines der ältesten Steingebäude von Nowosibirsk, doch die ehemalige Ministerpräsidentin der Hölle hatte keinen Blick für den roten Backsteinbau mit den vergoldeten Dachkuppeln.
Wo bist du, mein Kleiner, dachte Stygia mit dämonischer Heiterkeit. Versteck dich nicht!
Nachdem sie sich in Kolumbien an Sergols Vorschläge zur Stürmung des Châteaus erinnert hatte, war sie sofort aufgebrochen, um herauszufinden, ob der geflügelte Dämon wie sie noch - oder wieder? - unter den Lebenden weilte. Es hatte sie einiges an Recherchearbeit gekostet, doch schließlich hatte sie tatsächlich einige hilfreiche Hinweise zusammengetragen: Sergol war nicht in der Hölle gewesen, als diese vernichtet -oder einfach nur verschwunden? - war. Gerüchten zufolge hielt er sich in Russland auf. Hier, im tiefsten Sibirien, hatte er sich eine neue Heimstatt erwählt.
Stygia wusste, jetzt war es nur noch eine Frage von Stunden, bis sie ihn ausfindig gemacht hatte.
Alle ihre magischen Sinne sondierten die Umgebung, während sie wie eine neugierige Touristin durch die Straßen schlenderte. Es war empfindlich kalt, doch die Dämonin nahm den klirrenden Frost nicht wahr. Temperaturschwankungen bedeuteten ihr nichts.
Immer weiter führte Stygia ihr Weg. Für einen Beobachter mochte sie völlig ziellos umherstreifen, doch das Gegenteil war der Fall. Sie nahm ihre Umgebung kaum wahr, sondern folgte einzig der magischen Ausstrahlung des geflügelten Dämons - und das sehr präzise.
Schließlich blieb sie abrupt stehen.
Wie passend, dachte sie mit einem grimmigen Anflug von Humor, als sie das hohe, schmiedeeiserne Tor betrachtete. Ihr Weg hatte sie offenbar geradewegs zum Zentralfriedhof von Nowosibirsk geführt. Die Tore waren aufgrund der vorgerückten Stunde bereits geschlossen, aber diese Tatsache stellte für Stygia natürlich kein Hindernis dar. Eine magische Geste ihrer schlanken Finger genügte und schon schwangen die schmiedeeisernen Torflügel mit einem lauten Quietschen auf.
»Schon besser«, murmelte Stygia. Hoheitsvoll durchschritt sie das Tor und betrat das Friedhofsgelände. Sie wusste, irgendwo hier war Sergol. Der Dämon war ganz nahe!
Interessiert ging Stygia weiter. Dabei sah sie sich aufmerksam um und ließ ihren Blick über die zahllosen Grabsteine schweifen.
Schließlich blieb sie an einer großen Wegkreuzung stehen. Jetzt erst legte sie ihre menschliche Tarngestalt ab und präsentierte sich in ihrer ganzen dämonischen Schönheit.
»Zeig dich«, befahl Stygia mit weithin vernehmbarer Stimme.
Es dauerte einen Moment, dann begann es in einem Baum über ihr zu rascheln. Blätter rieselten auf den Kiesweg.
Sergol gehorchte. Der Dämon entfaltete seine Flügel und brach aus der Baumkrone, um einen Moment später flatternd auf einem der wuchtigen Grabsteine zu landen.
»Da bist du ja«, begrüßte ihn Stygia mit einem maliziösen Lächeln. »Du existierst also noch!«
Sergol nickte langsam.
»Ich grüße dich, Herrin«, sagte er demütig. Seiner Stimme haftete etwas Kriecherisches an. Offenbar hatte er die Demütigung im
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