098 - Der Kerkermeister
nur einen Augenblick gesehen. Sie hatte eine rote Kutte getragen. Kopfschüttelnd spazierte ich weiter durch die Burg. Kein Laut war zu hören, und kein Mensch war zu sehen.
Einige der Zimmer waren sehr hübsch eingerichtet. Die Wände waren bunt bemalt, und die Böden waren poliert und mit farbenfrohen Matten belegt.
Rasch wurde es dunkel. Ich trat an eines der vergitterten Fenster und blickte auf das Meer hinab. Minuten später war es dunkel im Zimmer.
Ich hörte ein Geräusch. Irgendwo knarrte eine Tür. Schritte und Gepolter waren zu vernehmen.
Dann ertönte ein durchdringender Schrei, der gurgelnd abbrach. Gekicher und Gegröle klangen auf. Ich versteckte mich hinter einem bemalten Schirm in der Ecke des Zimmers.
Irgend jemand stapfte schwer durch das Zimmer, doch ich konnte nichts sehen. Die Schritte entfernten sich.
Wieder ertönten Schreie. So schrien nur Menschen, die entsetzliche Qualen erdulden mußten.
Einen Sekundenbruchteil flammte blaues Licht auf. Es verschwand sofort wieder.
Ich hatte das Gefühl, daß mich unsichtbare Augen belauerten. Und ich hatte mich nicht getäuscht. Rings um mich tauchten Katzenaugen auf, die mich bösartig anfunkelten. Und auch sie verschwanden wieder.
Ich gab mich keinen Illusionen hin. Der Herrscher der Burg wußte genau, wo ich mich befand. Aber weshalb kam niemand? Ich wollte ja mit Kokuo sprechen.
Mein kümmerliches Versteck war entdeckt worden. Also hatte es wenig Sinn, wenn ich weiterhin wie ein erbärmlicher Feigling hinter dem Wandschirm hocken blieb. Geschwind stand ich auf und ging auf die nächste Tür zu. Ich wollte sie öffnen, doch sie war versperrt. Zornig lief ich zur gegenüberliegenden Tür. Hier war es das gleiche. Grollend zog ich mich in die Mitte des Raumes zurück und setzte mich wieder. Ich hatte Zeit.
Die Geräusche. rings um mich wurden immer unheimlicher. Wüste Schreie wurden von Musik untermalt. Und ich konnte schwer sagen, was scheußlicher klang - die Schreie oder die Musik. Ich hielt mir die Ohren zu, doch das half nicht viel.
Wieder versuchte ich, eine der Türen zu öffnen. Doch sie waren noch immer versperrt. Ich trat ein halbes Dutzend Schritte zurück, duckte mich, rannte auf die Tür los und rammte sie mit der rechten Schulter. Ein Bluterguß war die einzige Ausbeute meiner Bemühungen. Fluchend zog ich eine Pistole, richtete sie gegen die Tür und drückte ab. Doch der Schuß löste sich nicht. Erneut drückte ich ab. Wieder nichts. Wutbebend schob ich die Pistole zurück in den Gürtel.
Schwere Schritte näherten sich der Tür, die nun geöffnet wurde. Der Schein von unzähligen Fackeln blendete mich. Ich kniff die Augen zusammen und wich einen Schritt zurück.
Etwa zwanzig schrecklich anzusehende Krieger standen vor mir. Sie trugen pechschwarze Rüstungen, auf die mit leuchtenden Farben Totenköpfe und abstoßend häßliche Fratzen gemalt waren. Ihre Gesichter waren mit Masken bedeckt. Nur die Augen waren zu sehen. Sie glühten rot.
„Führt mich zu Kokuo!" schrie ich. „Mein Name ist Michele da Mosto. Ich bin gekommen, um das Lösegeld für meinen Freund Franca Marzi zu zahlen. Auf der Dschunke, mit der ich hergekommen bin, habe ich die gewünschten zweihundert Musketen."
Die Krieger achteten nicht auf meine Worte. Langsam kamen sie näher und umringten mich. Harte Fäuste packten mich. Eine Gegenwehr war sinnlos.
„So hört mich doch an!" brüllte ich. „Versteht denn niemand von Euch eine zivilisierte Sprache?" Sie rissen mich hoch, packten mich an Armen und Beinen und trugen mich davon. Ich schlug ein wenig um mich. Da bekam ich einen Schlag gegen die Stirn, der mir die Tränen in die Augen trieb und mich nach Luft schnappen ließ.
Die schwarzen Krieger schleppten mich eine steil in die Tiefe führende Treppe hinunter. Stickige Luft schlug mir entgegen. Die Schreie waren lauter geworden.
Sie blieben stehen und richteten mich auf. Nun erhielt ich einen Schlag in den Nacken. Bewußtlos brach ich zusammen.
Meine Schläfen pochten, als ich erwachte. Stöhnend richtete ich mich auf und schlug mir dabei den Kopf an. Ich wälzte mich auf den Rücken und schlug die Augen auf. Undurchdringliche Finsternis war um mich.
Ich streckte die Hände aus. Meine Finger berührten eine rissige Decke.
Ich war schon oft gefangen gewesen, aber in solch einem Gefängnis hatte ich mich noch nie befunden. Es war ein schmaler Schacht, etwas breiter und zwei Handbreiten länger als mein Körper. Aufsetzen konnte ich mich nicht, da
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