0983 - Die Schamanin
Bill und…
Das Telefon tutete.
Da die Conollys die Apparate auf die verschiedenen Räume im Haus verteilt hatten, stand auch einer in der Küche. Sheila brauchte nur den Arm auszustrecken, um den Hörer an sich zu nehmen. Sie hörte noch, wie ihr Sohn sagte. »Das ist bestimmt Dad«, dann meldete sie sich mit etwas hektisch klingender Stimme.
»Grüß dich, Sheila.«
»Du - John?« Sie war überrascht, denn sie hatte mit Bills Meldung gerechnet.
Sinclair lachte. »Das klang aber nicht begeistert. Habe ich dir was getan?«
»Unsinn! Ich habe nur nicht erwartet, deine Stimme zu hören, sondern…«
»Bill?«
»Ja.«
»Oh, er hat noch nicht angerufen?«
Sheila schoß die Röte ins Gesicht. »So kann man das nicht sagen, John. Er hat aber nur einmal angerufen.«
»Aber er ist auf Haiti?«
»Das stimmt.«
»Sorry, aber ich war in den letzten Tagen in Deutschland und wollte einfach nur fragen, was so läuft. Kannst du mir mehr über seine Reise sagen? Ich weiß bisher nur, daß er in die Karibik geflogen ist.«
»Wo er eine gewisse Imelda interviewen will, eine ungewöhnliche Frau, eine Schamanin.«
»Ach.«
»Davon hast du nichts gehört?«
»Nein«, hörte Sheila die Stimme des Geisterjägers. »Das habe ich wirklich nicht. Weißt du denn mehr?«
»Nicht viel…«
»Dann erzähl mir das Wenige.«
Sheila berichtete dem Freund, um was es ging, und sie fand in John Sinclair einen aufmerksamen Zuhörer. Als sie von ihrer Unruhe erzählte, war John anderer Meinung.
»Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Sheila. Kannst du dir vorstellen, wo diese Frau lebt?«
»Ich weiß nichts.«
»Haiti ist nicht London, wo du an jeder Ecke ein Telefon findest. Ich könnte mir vorstellen, daß sich diese Imelda in die Einsamkeit zurückgezogen hat. Es wird für Bill nicht leicht gewesen sein, sie zu finden. Außerdem sind diese Frauen sicherlich sehr mißtrauisch. Um sie zum Reden zu bringen, hat er sicherlich manche Wände einreißen müssen, und das kostet Zeit.«
Sheila mußte lachen. »Ich finde es ja toll, John, daß du versuchst, mich zu beruhigen.« Sie hob die Schultern. »Ich weiß selbst, daß ich manchmal überempfindlich reagiere, aber die Erfahrung hat mich gelehrt, daß doch Dinge geschehen sind, die man mit dem normalen Verstand kaum begreifen kann.«
»Stimmt.« Der Geisterjäger legte eine kleine Pause ein. »Es ist ein Abend zum Weglaufen«, sagte er. »Ich sitze hier in meiner Bude und schaue dem Regen zu.«
»Wie ich und Johnny.«
»Wie wär’s denn, wenn ich euch besuche? Wir unterhalten uns, trinken ein Glas Wein und…«
»Wenn du willst…«
»Immer. Dann kann ich auch gleich selbst mit Bill sprechen, wenn er sich meldet.«
»Aha«, sagte Sheila. »Dir ist der Fall wohl auch nicht geheuer - oder?«
»Wie soll ich sagen? Er ist schon interessant, meine ich.«
»Dann komm.«
»Okay, ich schwinge mich in den Rover und düse los.«
»Wir warten, John. Bis gleich.« Als Sheila den Hörer wieder auflegte, hatte sich ihr Gesicht entspannt. Sogar ein Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab.
Johnny, der noch am Tisch saß, schaute zu ihr hoch. »Na, geht es dir jetzt besser?«
»Ja, viel besser.«
»Mir auch.« Er deutete auf seinen leeren Teller. »Kann ich noch ein paar Pfifferlinge haben?«
»Aber sicher, Junge. Es freut mich, daß es dir schmeckt.«
»Ich brauche auch eine Unterlage.«
»Wenn du so redest, hast du sicherlich noch etwas vor«, sagte Sheila, als sie Johnny noch eine Portion gereicht hatte.
»Ja, wir wollten ins Kino.«
»Wir?«
»Zwei Freunde und ich.« Sheila nickte. »Was seht ihr euch an?«
»Independence Day.«
»Um Himmels willen! Warum nur immer diese Katastrophenfilme? Wir haben als Familie schon genug Katastrophen erlebt.«
»Aber Mum.« Johnny sprach zu seiner Mutter wie zu einem Kind. »Soll ich den anderen sagen, daß wir das schon genug zu Hause gehabt haben? Möchtest du das?«
»Nein, das nicht.« Sie lächelte. »Okay, aber komm nicht zu spät nach Hause.«
»Keine Sorge.« Johnny aß schneller und sprach mit vollem Mund.
»Wenn Dad anruft, mußt du ihm aber schöne Grüße von mir bestellen. Versprochen?«
Sheila hob den rechten Arm. »Ja, versprochen.«
»Gut, dann esse ich nur noch auf.«
Auch Sheila hatte sich wieder gesetzt. Jetzt war sie froh, daß John rüberkommen wollte, denn das Alleinsein hielt sie nicht länger aus. Es war wirklich nicht leicht für sie, ihren Mann so weit weg zu wissen und keine Kenntnis davon zu
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