0985 - Libertys Tränen
schaue, ob ich nicht doch noch was über eine Anna Hook herausfinden kann.« Dabei zog sie ihr eigenes Handy aus der Hosentasche, das offenkundig auch über eine Internetfunktion verfügte.
Nicole nickte, trat einige Schritte zur Seite und widmete sich dem TI Alpha. »Wampage« war ein Begriff, den die Suchmaschine erfreulich wenig verschiedenen Inhalten zuordnete, und tatsächlich schien es ein indianischer Name zu sein. Nicole wollte gerade auf einen entsprechenden Link klicken, da hörte sie hinter sich einen gepressten Laut und leises Rascheln.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie. War der Polizistin das Erlebte etwa doch noch zu viel geworden? Sie erwartete schon, Amy ohnmächtig auf dem Boden vorzufinden, als sie sich umdrehte, doch… Amy war gar nicht mehr da!
Stattdessen lagen ihr Mobiltelefon und der noch glimmende Zigarettenrest da, wie unachtsam weggeworfen.
»Amy?« Nicole sah sich um, spähte in das Dunkel jenseits des kleinen Bereichs, den die Hoflampe des CIPD der Nacht abtrotzte. Zwischen der Wache und der beleuchteten Inselstraße lagen noch gut und gern zehn Meter Schwärze. »Bist du irgendwo da draußen?«
Keine Antwort. Für einen kurzen Moment glaubte Nicole, einen unterdrückten Schrei zu hören, doch das konnte genauso gut ein quietschender Autoreifen irgendwo zwei Straßen weiter gewesen sein.
Konnte. Aber mein Instinkt sagt mir anderes.
»Amy?«
Sie hatte gerade den Rand des von der Hoflampe erhellten Bereichs erreicht, da geschah es. Bevor Nicole wusste, wie ihr geschah, spürte sie eine eiskalte Hand auf ihrem Mund! Ein Arm, hart wie Stahl, legte sich blitzschnell um ihre Brust, pinnte ihr die Oberarme an den Leib und presste ihr die Rippen zusammen.
Nicoles in zahlreichen Kämpfen geschulten Reflexe übernahmen das Ruder. Alles ging wahnsinnig schnell. Sie wand sich, bedachte den hinter ihr stehenden Angreifer mit rückwärts gerichteten Fußtritten. Dann stieß sie sich vom Boden ab, vertrauend auf seine Umklammerung, und versuchte, ihn so um sein Gleichgewicht zu bringen. Gleichzeitig schrie sie so laut sie konnte in die Hand, die ihr doch unerbittlich die Lippen verschloss.
Wer war das? Was zum Teufel wurde hier nur gespielt? Nicoles Gedanken rasten, und ihr Herz pochte wie wild. Plötzlich spürte sie, wie die Hand von ihr abließ - nur um sich einen Sekundenbruchteil später am Kragen ihrer modischen Bluse zu schaffen zu machen. Stoff riss.
»Was zum…«, keuchte sie wütend. »Sofort aufhö…«
Weiter kam sie nicht. Denn sowie der spitze Schmerz - Von einer Nadel. Das kommt von einer Nadel. Jemand spritzt mir etwas! - durch ihren zarten Hals zuckte, wurde ihr endgültig schwarz vor Augen, und die Welt verschwand.
***
Es dauerte nur wenige Minuten, bis Zamorra und Andy auf der Schwelle erschienen. »Nici?«, rief der Meister des Übersinnlichen.
Andy deutete zu Boden. »Schauen Sie, Professor.«
Mit wachsender Besorgnis betrachteten sie Amys Telefon. »Hier ist etwas geschehen«, murmelte Zamorra, zückte sein TI Alpha und wählte die Nummer seiner Partnerin. Es klingelte - etwa acht Meter vor ihm im Dunkel! Auch Nicoles Gerät lag verlassen in der Nacht, gleich neben ihrer Tasche.
Als Zamorra zu ihm trat und daneben in die Hocke ging, fiel ihm ein kleiner Stofffetzen auf, der rechts vom TI Alpha im Dreck lag. »Der stammt von Nicis Kleidung«, erkannte er. »Eigenartig. Alles spricht für einen Angriff, aber hätten die beiden Frauen dann nicht auf sich aufmerksam gemacht? Immerhin saßen Sie und ich nur wenige Meter entfernt, Andy.«
»Vielleicht konnten sie es nicht«, schlug er vor. Die Angst um seine Kollegin war ihm deutlich anzuhören. »Vielleicht ging alles viel zu schnell.«
So schnell, dass Nici nicht einmal dazu kommt, Merlins Stern zu rufen?
Zamorra ahnte, dass es so gewesen sein musste. »Sieht aus, als wäre unsere Atempause offiziell beendet, Andy«, sagte er leise, stand auf und klopfte dem jungen Sergeant auf die Schulter. »Wer auch immer hier unser Gegner ist, er hat gerade den nächsten Zug gemacht.«
Und jetzt hat er unsere Dame, dachte er düster.
Kapitel 5
Im Dunkel
Gegenwart
Als der erste Schreck verflogen war und die Nachwehen der Betäubungsdroge, die man ihr verabreicht haben musste, vergingen, konnte Nicole ihre neue Umgebung endlich besser in Augenschein nehmen. Und den Körper dort im Dunkel, der sie eben noch so erschreckt hatte.
Das war nicht der Feind. Sondern Amy.
Die Polizistin saß rücklings an der Wand ihres kleinen
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