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0985 - Libertys Tränen

0985 - Libertys Tränen

Titel: 0985 - Libertys Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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durch den Schlitz, schüttelte den Kopf. »Möglich. Garantien hab ich aber keine.«
    Minuten vergingen und wurden zu Stunden. Die beiden Frauen mühten sich redlich, sich aus ihrer Lage zu befreien, doch so sehr sie auch kämpften, kamen sie nicht gegen ihre Fesseln an. Auch die genauere Inspizierung des Raumes und der Versuch, durch den Schlitz um Hilfe zu rufen, brachte keine neuen Erkenntnisse. Nicole spielte kurz mit dem Gedanken,
    Merlins Stern herbei zu beschwören, unterließ es aber. Den Joker konnte sie immer noch ziehen, wenn es nötig wurde. Bis dahin mochte Zamorra das magische Amulett dringender brauchen.
    Irgendwann, Nicole vermochte die verstrichene Zeit nicht mehr zu benennen, regte sich etwas vor der Stahltür. Riegel wurden hörbar verschoben, und dann öffnete sich die Tür. Licht fiel über die Schwelle, blendend und hell, und als sich Nicoles Augen endlich daran gewöhnt hatten, stand da eine Gestalt. Es war ein Mann von überschaubarem Wuchs, nicht sonderlich kräftig. Angegrautes Haar über einem Gelehrtengesicht, Tweedsakko und dunkelblaue Jeans. Er trug ein kleines Tablett in Händen, auf dem zwei silbern ummantelte Kaffeebecher standen. Da sie nicht dampften, musste es sich bei dem Inhalt wohl um Wasser handeln.
    »Lyle?«, keuchte Amy. »Lyle Jennings? Das glaub ich jetzt nicht. Können Sie mir mal erklären, was die Scheiße soll?«
    Der Mann - Jennings? War das nicht dieser Kurator gewesen, den sie morgen früh aufsuchen wollten? - sah beschämt zu Boden. »Geht es Ihnen gut, Officer?«, fragte er kleinlaut. Es klang aufrichtig.
    »Gut? Großer Gott, Mann, Sie haben zwei Menschen entführt. Eine Polizeibeamtin! Fragen Sie sich lieber, wie es Ihnen geht.« Amy atmete tief durch. »Sie stecken bis zum Hals in der Scheiße, Jennings«, fuhr sie dann deutlich gefasster fort. »Lassen Sie mich Ihnen einen gut gemeinten Rat geben: Das Zauberwort in Ihrer Lage heißt Schadensbegrenzung. Retten Sie, was noch zu retten ist. Lassen Sie Miss Duval und mich ziehen, dann kommen Sie mit wenig mehr als einem blauen Auge davon.«
    Er schluckte. »Das würde ich gern. Glauben Sie mir, nichts wäre mir lieber. Aber ich kann nicht.« Mit einem Mal lag etwas in seinem Blick, das nur äußerst bedingt mit Scham zu tun hatte: Verzweiflung. Jennings war kein Täter, erkannte Nicole instinktiv, sondern ebenfalls ein Opfer. Eine gequälte Kreatur, dem Willen Fremder ausgeliefert. Von seiner angeblichen Arroganz war nichts mehr übrig.
    »Sagt wer?«, hakte Nicole nach, bevor Amy reagieren konnte. »Kommen Sie, Lyle. Lassen Sie uns Ihnen helfen. Wer lässt Sie all diese schrecklichen Dinge tun?«
    Der Kurator schüttelte schweigend den Kopf und stellte das Tablett vor den Frauen ab. Tränen glitzerten in seinen Augen.
    »Lassen Sie uns gehen«, wiederholte Amy beschwörend. »Behalten Sie ruhig Ihre Geheimnisse, aber verschlimmern Sie Ihre Situation nicht noch unnötig, Mann.«
    Nicole betrachtete ihn nachdenklich. Eins stand fest: Dieser schmächtige Alte hatte sie unmöglich entführen können. Dafür war er schlicht nicht kräftig genug gebaut. Und er wirkte alles andere als aggressiv - vielleicht mit Worten, ja, aber niemals mit Taten.
    Wer ist dein Hintermann, Jennings?
    Der Kurator hatte gerade den ersten der silbernen Becher gehoben, um ihn Amy zu reichen, da blieb er mitten in der Bewegung stehen, als wäre er spontan eingefroren. Sekunden verstrichen.
    »Jennings?« Nicole sah von ihm zu Amy und zurück. »Hören Sie mich?«
    Keine Reaktion. Ihr Wärter wirkte, als nähme er die Welt um ihn herum gar nicht mehr wahr. Er schien nur noch Augen für den Becher zu haben. Aber warum?
    Er sieht nicht in, sondern auf das Ding, erkannte Nicole. Seltsam. Da ist doch kein Aufdruck oder so. Dann begriff sie. Sein Spiegelbild. Das muss es sein. Jennings ist von seinem eigenen Abbild fasziniert.
    Plötzlich und ohne erkennbaren Grund ging ein Ruck durch Jennings’ eben noch so reglosen Leib. Sein Kopf zuckte nach oben und seine Schultern strafften sich wie bei einem in Habacht-Stellung gehenden Soldaten. Mit einem Mal wirkte dieser Mann alles andere als schwach.
    »Lyle?«, fragte Amy vorsichtig. »Was ist los? Was soll das alles?«
    »Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf, Officer«, knurrte ihr Gegenüber nun. Seine Stimme klang ganz anders -viel härter, bedrohlicher. »Das werden Sie beide schon sehen, wenn die Zeit kommt.«
    Amy schluckte. »Wie meinen Sie das?«
    Der Kurator lachte verächtlich und

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