0997 - Blut für den Götzen
nicht, was ich da noch tun soll.«
»Ich dachte schon an Flucht.«
»Oh, das ist mir neu. Und deine Mission?«
»Lasse ich sausen.«
Bill schüttelte den Kopf. Er schaute dabei gegen die kleine, lüsterhafte Lampe an der Decke. »Ich weiß nicht, ob man dir das jetzt so ohne weiteres gestatten wird. Der Blutgeruch ist doch ein Zeichen dafür, daß die andere Seite Bescheid weiß. Sie hat sich gemeldet, und ich denke mir, daß sie auch zuschlagen wird.«
Laura Keller nahm es hin. Sie stemmte sich von der Tür ab und schritt gedankenverloren auf den Reporter zu, ohne ihn allerdings anzuschauen. »Bill«, murmelte sie, »du hast mir doch mal von deinem Freund erzählt, der sich beruflich mit gewissen Erscheinungen beschäftigt. Oder liege ich da falsch?«
»Nein, nein, du liegst schon richtig, wenn du John Sinclair damit gemeint hast.«
»Ja, genau ihn.«
»Und was willst du damit sagen?«
»Wäre es nicht vielleicht an der Zeit, ihn zu informieren und um Hilfe zu bitten, damit er sich mit uns um den Fall kümmert? Ich zumindest wäre dann beruhigter.«
Bill Conolly überlegte nicht sehr lange. »Das wäre eine Möglichkeit. Wir müßten ihn nur anrufen.«
»Handys sind hier verboten.«
»Gibt es unten kein Telefon?«
»Doch, natürlich.« Laura nickte. »Ich kann mir allerdings auch vorstellen, daß es abgehört wird. Und das will ja wohl keiner von uns. Es bleibt nur die Möglichkeit, daß wir von hier verschwinden. Allein jedenfalls bleibe ich nicht zurück.«
»Das kann ich verstehen.«
Laura schritt auf eine Wand zu, die relativ frei von Bildern war. Nur die gelbliche Stofftapete bedeckte das Mauerwerk, und die Frau strich mit beiden Händen darüber hinweg. Sie und Bill lauschten dabei den schabenden Geräuschen, wobei dem Reporter auffiel, daß sich Laura ziemlich lange mit dieser Tätigkeit beschäftigte.
»Hast du etwas Besonderes entdeckt?« fragte er.
»Ich weiß es auch nicht.«
»Hinter der Tapete?«
Sie hob die Schultern.
Bill war mit wenigen Schritten bei und neben ihr. Auch er legte seine Hände gegen die Stofftapete und spürte ebenfalls das Weiche dahinter und nicht den harten Widerstand des Mauerwerks.
»Ist das normal?« erkundigte sich Laura.
»Eigentlich nicht.« Der Reporter hob die Schultern. Danach holte er ein Messer aus der Tasche.
Laura schaute zu, wie Bill es aufklappte.
»Was hast du vor?«
»Nur einen Test starten.« Er setzte die Spitze des Messers in Augenhöhe an einer bestimmten Stelle der Tapete an, zögerte noch einige Sekunden und gab dann Druck.
Die scharfe Klinge drang in das Material ein. Sie hinterließ einen Schnitt - und noch mehr, denn diese kleine Lücke füllte sich plötzlich mit einer dicken, roten Flüssigkeit.
»Mein Gott!« erfuhr es Laura. Sie trat hastig zurück. »Das ist ja Blut…«
***
Ja, es war Blut, was Bill ebenfalls sah und durch sein Nicken bestätigte. Es war aus diesem Schnitt hervorgesickert und rann auch noch weiter aus dem Spalt, als befände sich jenseits der Tapete ein größeres Blutreservoir. Damit kamen beide nicht zurecht, und sie waren bleich geworden.
Sie schwiegen. Aber sie mußten einfach dorthin schauen, wo das Blut aus der Wand quoll und längst seinen Weg nach unten gefunden hatte. In mehreren, zittrigen Bahnen rann es an der Tapete entlang, um sich auf dem Fußboden in einer Lache zu sammeln.
Laura Keller konnte nicht mehr allein bleiben. Sie brauchte jetzt den körperlichen Kontakt und preßte sich an Bill. »Ich will keine Erklärung haben«, flüsterte sie, »aber es ist einfach grauenhaft. Es ist auch nicht zu erklären. Ich weiß nicht…«
»Abwarten.«
Sie lachte nur. »Wie lange denn noch? Bis das ganze verdammte Blut die Wand dort verlassen hat? Das ist schlimm, Bill. Das hätte ich mir in meinen finstersten Alpträumen nicht ausgemalt. Ich weiß auch, daß es Menschenblut ist.«
»Woher?«
»Denk an die Göttin. Sie will das Blut der Menschen.«
Bill konnte diese Logik nicht so exakt nachvollziehen, hielt sich mit einem Kommentar allerdings zurück, weil er Laura nicht durcheinander bringen wollte.
Statt dessen schauten sie dem aus der Wand rinnenden Blut zu, und der Gestank im Zimmer hatte sich noch verstärkt.
Nach einer gewissen Zeit hatte Bill den Eindruck, als wäre dieser Spalt in der Wand größer geworden. Länger und auch breiter, denn auch der rote Strom hatte sich verändert.
Hinter sich hörten sie ein Knistern oder Reißen.
Blitzschnell umklammerte Laura Bills Arm. »Verdammt,
Weitere Kostenlose Bücher