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0999 - Der Mitternachtsfluch

0999 - Der Mitternachtsfluch

Titel: 0999 - Der Mitternachtsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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wollte, und so hatte ich freie Bahn.
    Es war ein einsamer Gang, und er wurde mit jedem zurückgelegten Schritt noch deprimierender. Ich kriegte keine Informationen, es passierte nichts. Der Baum stand in meiner Nähe und bewegte sich kaum. Es war windstill.
    Genau an der Stelle, an der ich zum erstenmal die geheimnisvollen Stimmen gehört hatte, blieb ich auch jetzt stehen. Mein Blick streifte mehrmals über den Baum, während ich die rechte Hand in die Tasche versenkte und das Kreuz umfaßte.
    Waren sie noch hier? Waren sie schon weg? Hatten sie uns von der Kirche her verfolgt? Wenn das alles zutraf, weshalb meldeten sie sich dann nicht, um ihren Triumph auszukosten?
    Ja, es gab sie noch, denn plötzlich hörte ich vor mir das Wispern. Es schien direkt aus dem dichten, mit Lichtern geschmückten Grün hervorzudringen, als hielten sich die Geister der getöteten Kinder dort versteckt. Sie lachten mich an und auch aus. Wahrscheinlich fiel ihnen meine Hilflosigkeit auf, und mit ihren wispernden und zugleich schrillen Stimmen erlebte ich noch etwas anderes.
    Die große Tanne blieb nicht mehr still. Alle Zeige bewegten sich plötzlich.
    Sie wippten auf und ab, als würden sie einer Melodie folgen. Sie tanzten, aber sie brachen nicht. Sie waren dehnbar. Die Lichter gehorchten dem Rhythmus der Zweige: auf und ab, auf und… Der große Weihnachtsbaum schien lebendig geworden zu sein und ein Eigenleben zu führen. Auf und nieder, immer stärker, und immer heftiger.
    Der gesamte Baum war in Bewegung geraten, als wollte die andere Seite dieses äußere Zeichen des christlichen Weihnachtsfestes sprengen.
    Es war nichts mehr normal. Die andere Seite demonstrierte ihre Stärke, und ich schaute zu. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Vor meinen Augen tanzten die Lichter, die bei jeder Bewegung helle Schweife nach sich zogen.
    Dann hörte ich die heftigen Schritte von der rechten Seite. Ich drehte den Kopf und sah Grace Felder ankommen. Sie war entsetzt, keuchte und begriff nichts.
    »Was ist los, John?«
    »Sie sind da!«
    »Ja, das sehe ich. Sie haben sich den Baum geholt. Wie die beiden in der Kirche. Sie wollen uns zeigen, daß sie gewinnen und wir nur verlieren können, nicht wahr?«
    »Das kann schon so sein.«
    Böse Stimmen zerstörten die Stille. Ein hartes, kreischendes Lachen, aber dennoch nur für uns hörbar und kaum ein Echo ausstrahlend. Das Lachen hinterließ zumindest bei Grace Felder eine Gänsehaut, bei mir eher gemischte Gefühle.
    Es war niemand zu sehen, wir aber wurden aus dem Unsichtbaren heraus unter Kontrolle gehalten.
    Dann verstummte es.
    Die Zweige wippten noch. Auch die auf ihnen befestigten Lichter tanzten.
    Ich glaubte nicht so recht daran, daß es vorbei war, und auch Grace war skeptisch. Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Da passiert noch was, John, ich fühle und ahne es.«
    Sie hatte den Satz kaum beendet, als wir den Gesang hörten. Ich kannte die Melodie, aber nie zuvor war sie so bösartig und zugleich triumphierend gesungen worden wie in diesen sich lang hinziehenden Augenblicken.
    »Christmas Day is coming…«
    Laut und irgendwie krächzend. Ebenfalls in einem etwas anderen Rhythmus, denn während des sich wiederholenden Gesangs tanzten die Zweige der großen Tanne mit, und sie hielten genau den Takt ein.
    Grace Felder klammerte sich an meinem Arm fest und atmete heftig, bevor sie das aussprach, was sie dachte. »John, das ist das Ende. Das ist ihr Sieg. Die Stimmen - der Klang - es hört sich alles so an, als hätten sie gewonnen.«
    »Vielleicht haben sie das auch.«
    »Was?«
    »Nicht so wie Sie denken, Grace. Ich glaube eher, daß sie einen weiteren Teilerfolg errungen haben. Sie sind in die Kirche eingedrungen, sie haben sich dort ausgebreitet und den Baum gekippt, und jetzt versuchen sie es hier auch.«
    »Wieso?«
    »Geh zurück!« Ich hatte mich in den letzten Sekunden intensiv auf die Riesentanne konzentriert. Deshalb war mir nicht entgegangen, daß die Zweige heftig tanzten. Es war nicht zu sehen, ob der Baum in der Erde oder in einem Ständer stand. Jedenfalls beugte sich der gesamte Baum nach vorn, dann wieder zurück, und seine Schwingungen wurden immer stärker. Jeden Augenblick drohte er abzubrechen.
    Für Grace war es irgendwie faszinierend, denn sie selbst traf keinerlei Anstalten, sich zurückzuziehen. Das mußte ich schon übernehmen, und ich zerrte sie nach hinten, weg von der Riesentanne, die noch einmal einen mächtigen Stoß erhielt, so hart, daß ein knackendes

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