1 - Schatten im Wasser
mehrere Zwiebeln und einfach alle Kräuter hinzu, die sie im Garten fand, und setzte das Fleisch in dem dreibeinigen Topf für sechs Stunden aufs Feuer. Das sollte den zähesten Bock zart machen. Es war schon früher Abend, als sie sich endlich die Hände wusch und Jikijiki befahl, die zwei Butternusskürbisse aus dem Garten zum Kochen vorzubereiten.
Schon seit Tagen brannte sie darauf, ihre Gedanken ihrem Tagebuch mitzuteilen, und jetzt hatte sie eine halbe Stunde Zeit. Rasch holte sie es hervor und setzte sich auf die Veranda in den Schatten des Mimosenbaumes. Endlos schien der Himmel über ihr, und die Blüten des stacheligen Baumes leuchteten wie Goldstücke vor dem zarten Porzellanblau. Schwalben wirbelten im leichten Wind dahin, eine Taube gurrte. Langsam schlug sie eine neue Seite auf.
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»Afrika ist ein ständiger Kampf, es gibt hier nichts, was sanft und mild wäre«, schrieb sie, und die Worte flössen schneller aus ihr heraus, als sie schreiben konnte. »Al es ist unbändig und so voller Kraft, dass mir angst wird. Ich werde diesem Land etwas von der Kraft entreißen müssen, um hier zu bestehen. Das werde ich sicherlich tun. Denn das Land ist großartig.
Ich spüre schon jetzt, dass ich nie wieder woanders leben könnte.«
Erstaunt über den letzten Satz, der wie von allein auf dem Papier erschien, hielt sie inne, überlegte, was sie zu diesem Bekenntnis bewogen hatte. Ihre Gefühle jedoch waren so widersprüchlich, dass sie nicht zum Kern vorstoßen konnte. Sinnend streifte ihr Blick über das Tal zu ihren Füßen, hinauf zu den sanften grünen Hügeln. Ein Adler flog aus den Schatten am Wasserloch auf, das Symbol der Freiheit, und schwang sich hoch in den türkisfarbenen Abendhimmel. Er schraubte sich höher und höher, bis er als winziger glühender Punkt im endlosen Firmament dahinschwebte.
Etwas bewegte sich in ihr, als würde ein Panzer aufbrechen, sich eine eisige Faust lockern, die ihr die Brust zusammengepresst hatte. Das Blut rauschte durch ihren Körper, zündete rote Funken vor ihren Augen, erfüllte sie mit so viel Kraft, dass sie glaubte, fliegen zu können. Sie sprang auf und schaute dem majestätischen Vogel nach, bis die Nacht über den Himmel zog wie ein dunkelblauer Samtvorhang und aus dem goldenen Adler ein funkelnder Stern wurde. Als sie sich endlich umwandte, war aus ihrem ockerfarbenen Starenkastenhäuschen ein weißes Schloss geworden. Johanns Traum stand vor ihr.
*
Das entfernte Geräusch von Pferdehufen holte sie in die Wirklichkeit zurück. Johann kam wie versprochen mit dem Einbruch der Dunkelheit nach Hause. Geschwind klappte sie ihr Tagebuch zu, deckte den Tisch unter der Mimose, schmückte ihn aufs Schönste und stellte Bambuskerzen auf den Tisch, die sie nach Johanns Anleitung gemacht hatte, indem sie geschmolze
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nen Rindertalg um einen Baumwolldocht in ein Bambussegment gegossen hatte.
Der Mond stieg wie ein riesiger goldener Ball hinter den Hügeln auf, und Afrika begleitete ihr Essen mit sanfter Nachtmusik. Nachtvögel riefen, Zikaden zupften ihre Saiten, und über allem schwebte der hohe Sopran der Baumfrösche. Johann streckte seine Hand aus und legte sie auf ihre, darauf gefasst, dass sie sie wegziehen würde. Sie tat es nicht.
Er atmete auf. Die Schlucht zwischen ihnen schien sich geschlossen zu haben.
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KAPITEL 13
Mila Arnim war schon seit Sonnenaufgang mit Pieter, ihrem burischen Faktotum, der mit Pflanzen und Tieren sprach und, außer für Mila, für Menschen nichts übrig hatte, auf ihren Feldern unterwegs. Mais, Ananas und Korn standen gut, und sie war früher fertig geworden, als sie erwartet hatte. Sie nahm einen Schluck verdünnten Ananassaft aus ihrer Wasserflasche. Die stickige Schwüle des Januartages setzte ihr zu. »Ich schau einmal kurz auf Inqaba vorbei, ich habe die jungen Steinachs seit Weihnachten nicht mehr gesehen«, sagte sie zu Pieter, nahm einen ihrer Zulus mit und machte sich auf den Weg. Sie befand sich an der nördlichsten Grenze ihrer Farm, kaum zwei Stunden in flottem Trab von Inqaba entfernt. Der Zulu folgte ihr in einem kräftesparenden, gleichmäßigen Trott. Im Hof von Inqaba saß sie ab, hakte ihr Gewehr vom Sattelknauf und ging auf die Terrasse. Sie fand Catherine im lichten Schatten der Mimose über ihrem Tagebuch sitzend. Sonnenstrahlen fielen durch die fedrigen Blätter und zauberten Goldlichter auf die dunkle Haarpracht. Sie gab ein so hübsches Bild in ihrem dottergelben Kleid ab, dass Mila wünschte, malen
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