10 - Das Kloster Der Toten Seelen
ineinander. »Ein Mädchen namens Mair. Wie ihr wißt, war sie die Tochter von Iorwerth, unserem Schmied – seine einzige Tochter. Sogar sein einziges Kind. Da Iorwerths Frau auch schon tot ist, hat sie ihm sehr viel bedeutet. Mair war sehr jung, erst sechzehn Jahre alt. Und sie war Jungfrau.«
Bruder Meurig schnalzte mehrmals mit der Zunge. Als er sah, daß Fidelma die Stirn leicht runzelte, erklärte er ihr: »Ich glaube, auch in deinem Land hat die Ehre einer Jungfrau ihren Preis, Schwester. Dieser Preis, wir nennen ihn hier sarhead , ist sehr hoch. Ein Teil des Geldes steht dem König zu, denn eine Jungfrau und ihre Sicherheit liegen in seiner Verantwortung. Das wird hier seine nawdd genannt.«
Mit gesenktem Kopf hatte Fidelma Bruder Meurig zugehört. »Das stimmt. Bei uns heißt dieser Preis snádud. Der Schutz des Königs. Alle Jungfrauen seines Herrschaftsgebietes stehen unter seinem Schutz, und wenn ihnen jemand ihre Jungfräulichkeit nimmt, so muß derjenige dafür eine bestimmte Geldsumme zahlen.«
»Sollten wir uns jetzt nicht den Umständen des Mordes zuwenden?« warf Bruder Meurig ein.
Also fuhr Gwnda fort: »Es fiel auf, daß Idwal mehr als unter solchen Bedingungen üblich Mairs Gesellschaft suchte.«
»Was meinst du mit: unter solchen Bedingungen?« erkundigte sich Fidelma.
»Idwal ist, wie ich schon sagte, ein umherziehender Schafhirte. Außerdem ist er ein Findelkind. Ein Kind ohne Herkunft, ohne Namen. Niemand kannte seinen Vater oder seine Mutter. Er ist ein Junge ohne jeden Wert. Deshalb hat Iorwerth ihm nahegelegt, sich von seiner Tochter fernzuhalten. Und Mair hat er dazu aufgefordert, die Gesellschaft des Schafhirten zu meiden.«
»Und hat sie das getan?« fragte Fidelma.
Diese Frage schien Gwnda zu überraschen. »Mair war eine pflichtbewußte Tochter. Versteht doch, Iorwerth ist ein angesehener Schmied, und er hoffte natürlich, daß sein einziges Kind eine gute Partie machte. Ich glaube, er hatte die Absicht, sie mit Madog zu verheiraten, dem Goldschmied aus Carn Slani.«
»Ich nehme an, was die Mitgift betrifft, wird in unseren Ländern ähnlich verfahren?« erkundigte sich Fidelma bei Bruder Meurig.
»So ist es«, bestätigte er ihr. »Der Mörder muß dafür, daß er Mair die Ehre geraubt hat, der Familie, also Iorwerth, den sarhead zahlen. Darüber hinaus ist er dem Fürsten von Pen Caer und König Gwlyddien eine bestimmte Summe schuldig. Das ist zusammen eine ganze Menge Geld.«
»Mehr als ein umherziehender Schafhirte wohl zahlen kann?« mischte sich nun Eadulf wieder in das Gespräch ein.
Gwnda tat seinen Einwurf mit einer Handbewegung ab. »Idwal könnte das Geld niemals aufbringen. Deshalb ist Iorwerth ja so wütend.«
»Willst du damit sagen, daß Iorwerth nur über den finanziellen Verlust wütend ist, den er dem Mörder seiner Tochter verdankt?« fragte Fidelma rasch.
Gwnda schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht, aber das würde doch jeden nur noch mehr aufbringen. Bei all seinem Zorn hat er seine Pflicht gegenüber seinem Fürsten vergessen. Er überredete einige Nachbarn, mich in meinem Haus gefangenzuhalten, während er und seine Komplizen den Jungen packten und ihn für seine Untat bestrafen wollten, doch da seid ihr aufgetaucht.«
»Das ist barbarisch und verstößt gegen unsere Rechtsprechung«, stellte Bruder Meurig klar.
»Allerdings ist es befriedigend für einen Mann, dem man Unrecht zugefügt hat und der keine andere Möglichkeit zur Vergeltung sieht«, warf Gwnda ein.
Fidelma zog kritisch ihre Augenbrauen zusammen. »Das klingt ja, als würdest du das gutheißen?«
Gwnda lächelte schwach.
»Dem Gesetz nach kann ich das natürlich nicht durchgehen lassen. Doch ich verstehe Iorwerth. Das sagte ich bereits. Daher werde ich ihn für die Anstiftung zum Aufruhr nicht bestrafen.«
»Dessenungeachtet hat es so einen Vorfall noch nie gegeben, und es war ein klarer Gesetzesverstoß.« Auch Bruder Meurig blieb bei seiner Meinung.
»Wir kennen die Umstände des Mordes nach wie vor nicht«, bemerkte Eadulf leise, denn ihm war aufgefallen, daß die Unterhaltung in eine Sackgasse geraten war.
Einen Augenblick sah ihn Bruder Meurig verärgert an, doch dann erwiderte er: »Du hast recht. Derartige juristische Streitgespräche sollten wir uns für später aufheben. Jetzt wollen wir etwas über die genaueren Umstände des grausamen Mordes erfahren, Gwnda.«
Der Fürst von Pen Caer rieb sich die Nase. »Da gibt es wenig zu berichten. Es ist zwei Tage her. Wie
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