10 - Das Kloster Der Toten Seelen
ich schon sagte, Idwal kam in unseren Ort und erzählte Buddog vom Verschwinden der Mönche von Llanpadern. Das war kurz nach dem Morgengrauen. Iorwerth hatte seine Tochter Mair gerade nach Cilau zu ihren Verwandten losgeschickt, um etwas für ihn zu besorgen. Ungefähr eine Stunde später erschien Iestyn, sein Freund, in der Schmiede und erzählte ihm, daß er gesehen hätte, wie Mair und Idwal sich im Wald heftig stritten. Er war schnurstracks zu Iorwerth gelaufen, denn er wußte ja, daß der seiner Tochter verboten hatte, sich mit Idwal zu treffen.«
»Warum hat Iestyn denn nicht gleich in den Streit eingegriffen und ihn geschlichtet? Er ist schließlich ein Freund ihres Vaters«, wandte Bruder Meurig ein.
»Das mußt du Iestyn selbst fragen«, erwiderte Gwnda.
»Sprich weiter«, drängte ihn der Richter. »Was geschah dann?«
»Iorwerth bekam einen Wutanfall. Er, Iestyn und ein paar andere Männer aus dem Ort zogen los, um Idwal zu suchen und ihn so zuzurichten, daß er nie mehr ein anderes Mädchen belästigen könnte.«
»Belästigen?« erkundigte sich Fidelma. »Ich dachte, Iestyn hatte einen Streit beobachtet. Wie kann Iorwerth das denn als Belästigung auslegen?«
»Die Frage mußt du ihm schon selbst stellen, Schwester. Ich kann nur berichten, was ich gehört habe«, antwortete Gwnda.
»Wann hast du erfahren, daß Iorwerth und seine Freunde sich auf die Suche nach Idwal gemacht hatten?« fragte Bruder Meurig.
»Zufällig war ich an diesem Vormittag auch im Wald. So begegnete ich Idwal, wie er sich gerade über Mairs Leiche beugte. Mich bemerkte er nicht, aber es war klar, was da passiert war. Denn der Junge hatte immer noch vor Zorn die Fäuste geballt und rief mit schriller Stimme ihren Namen.
Als ich hörte, daß Iorwerth, Iestyn und die anderen sich ihm näherten, ging ich in seine Richtung. Idwal hatte sie ebenfalls wahrgenommen und wollte losrennen. Zufällig lief er genau dorthin, wo ich mich hinter einem Baum versteckt hielt. Als er auf meiner Höhe war, streckte ich ihn mit meiner Keule zu Boden. Dann waren auch schon Iorwerth und seine Gefährten da. Als sie sahen, was Idwal getan hatte, wollten sie ihn auf der Stelle totschlagen. Ich konnte sie gerade noch davon abhalten und ihnen erklären, daß man auf einen Richter warten müßte.«
»Da möchte ich einiges doch noch genauer wissen«, sagte Bruder Meurig langsam. »Hast du den Jungen dabei beobachtet, wie er …«
Fidelma räusperte sich und wollte schon eingreifen, als Gwnda ihr zuvorkam. »Ich habe den Jungen über die Leiche gebeugt stehen sehen. Das ist alles. Aber um zu wissen, was da vor sich gegangen war, braucht man nur eins und eins zusammenzuzählen.«
»In meinem Land sind die Regeln hinsichtlich der Beweislage sehr streng. Du kannst nicht etwas beeiden, was du nicht gesehen hast«, warf Fidelma ein.
»Hier gelten die gleichen Gesetze, Schwester«, pflichtete ihr Bruder Meurig bei. »Die Meinungen und Auslegungen von Zeugen können nicht als Beweismittel dienen. Das weiß Gwnda nur zu gut. Ein Richter wird hier seine eigenen Schlüsse ziehen. Wie ist das Mädchen umgebracht worden?«
»Erwürgt, nachdem sie vergewaltigt wurde. An ihrem Hals waren Druckstellen. Die Leiche ist von unserem Apotheker Elisse untersucht worden. Er sagt, daß auf ihre Kehle starker Druck ausgeübt wurde und das Mädchen keine Luft mehr bekam, bis sie starb.«
»Woran hat der Apotheker feststellen können, daß das Mädchen vor ihrer Ermordung vergewaltigt wurde?« wollte Fidelma wissen.
»An Mairs Unterkleidern war sehr viel Blut, wenn ihr versteht …«, antwortete Gwnda verlegen.
»War der Körper des Mädchens noch warm, als du dazukamst?« fragte Eadulf, der sich bemühte, in fremder Zunge seine Frage verständlich zu formulieren.
Gwnda starrte ihn an, als sei er ein Trottel.
»Bruder Eadulf will wissen, ob du selbst die Leiche untersucht hast?« vermittelte Bruder Meurig.
»Natürlich habe ich sie nicht angerührt. Ich habe gesehen, daß das Mädchen tot war. Das war auch ohne nähere Untersuchung offensichtlich.«
»Doch du kannst nicht sagen, wie lange Mair schon tot war, als du am Tatort eingetroffen bist?« fragte Fidelma, die verstanden hatte, worauf Eadulf hinauswollte.
»Der Junge stand immer noch über sie gebeugt da. Es war klar, daß der Mord soeben erst geschehen war.«
»Für uns ist das nicht so klar.« Fidelma seufzte. »Den eigentlichen Mord hast du nicht gesehen, und man kann das, was du beobachtet hast, auf
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