1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
denken“, dass auf dem Jakobsweg nach etwa zehn Tagen einsetzt, bewirkt, dass diese Gedanken freigespült werden. Darum kommen viele Pilger so befreit wieder von ihrer Reise zurück.
Manche regenerieren sich sogar so stark, dass sie nach ihrer Rückkehr nicht mehr mit ihrem Umfeld, oder Teilen davon klar kommen und ihr Leben ein wenig oder auch total verändern, weil sie nun wissen, welchen Weg sie in ihrem Leben zu gehen haben.
Auch aus diesem Grund ist es so, dass die meisten Pilger auf dem Weg gerne alleine gehen, auch wenn sie in einer Gruppe unterwegs sind. Nur die stundenlange Einsamkeit auf dem Weg bewirkt diese Gedankengänge, die oft sehr emotional und geistig erfrischend sein können.
Nach einem merklichen Anstieg erreichte ich nach Mittag Rabanal del Camino, wo ich in einem netten kleinen Café ein deftiges Rührei mit Brot verspeiste. Nebenan entdeckte ich bekannte Gesichter, aber ich hatte keine Lust, mich zu unterhalten. So machte ich mich auch schnell wieder auf und entdeckte am Ortsausgang eine kleine Asiatin, die sich vor einer Gabelung nicht entscheiden konnte, wohin der Weg nun führte. Sie stand nur da und suchte an Hauswänden und Strompfeilern nach einem Wegweiser.
Während ich mich ihr langsam näherte, schaute sie zu mir und deutete mir mit ausgebreiteten Armen mit pantomimischer Geste „wo geht’s hier lang?“ Ich hatte beim Näherkommen ihr Problem erkannt und stellte mich direkt vor sie. Ohne ein Wort berührte ich ihren Arm und deutete auf ihre Füße. Sie schaute nach unten und begann zu lachen. Es gab vor dieser Weggabelung eine Markierung in Form eines gelben Pfeils auf dem Boden. Die junge Frau stand nur mitten drauf. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und ich ging wortlos weiter. Hinter mir stand die Asiatin immer noch auf dem Pfeil und ich konnte ihr Lachen noch bis zum Ortsrand hören.
Es folgte der schweißtreibende Aufstieg zu meinem heutigen Etappenziel. An einem Brunnen, dessen Wasser leider durch Algenwuchs ungenießbar war, machte ich eine kleine Pause und genoss das Bergpanorama. Ich hörte einen Hund bellen, konnte aber keinen sehen.
Ich schnallte den Rucksack auf und stieg gerade einen schalen Pfad, der nur Platz für eine Person bot, hinauf, da stürzte ein großer Schäferhund auf mich zu. Er schien den festen Glauben zu haben, Pilger machen immer Platz, denn er machte den Eindruck, durch mich durch laufen zu wollen. Und ich enttäuschte ihn nicht, denn kurz bevor er mich umgerannt hätte, schmiss ich mich rückwärts auf das meterhohe Gras und lag da nun wie eine Schildkröte auf meinem Rucksack. Der Hund war an mir vorbei zu dem Brunnen gelaufen und schlabberte sich seine Portion Wasser. Ihm folgten zwei junge Mädchen, die kichernd an mir, immer noch im Gras liegend, vorbeigingen.
Wenig später erreichte ich meinen Zielort Foncebadón, der in eintausendvierhundert Metern Höhe lag. Ich schlenderte an einer verfallenen Mauer entlang und kam an ein rustikales Gartentor. Es stand offen und aus dem Gebäude, das als Refugio ausgewiesen war, tönte gregorianischer Mönchsgesang. Ich zögerte keine Sekunde, schritt durch das Tor an zwei kalbsgroßen schwarzen Hunden vorbei, für die ich genauso Luft zu sein schien, wie für den Schäferhund von eben und checkte ein.
Der Ort wurde im zwölften Jahrhundert gegründet und stand bis zum neunzehnten Jahrhundert unter königlichem Schutz, mit dem Auftrag, sich um die Pilger zu kümmern. Danach starb er allerdings aus und ist erst seit ein paar Jahren wieder von sieben Menschen bewohnt. Eine der zwei Herbergen wurde von einem deutschen Paar geleitet, die in einem kleinen Laden auch Obst und Leckereien anboten. Ich traf dort auf Bekannte vom Weg und setzte mich mit einem Kaffee zu ihnen. Am Nachbartisch saß ein älterer Mann mit einer Flasche Paulaner Weißbier.
„Haben sie sich die mit hierher gebracht?“ musste ich ihn fragen.
„Nein“, lachte er in bayrischem Akzent, „die habe ich hier im Laden gesehen und konnte einfach nicht widerstehen.“
Das wäre eine Top Kulisse für einen Werbefilm gewesen. Mitten in der Walachei in einem Jahrhunderte alten, verfallenen Ort, indem nur noch zwei Häuser bewohnbar waren, saß im Sonnenuntergang ein bayrischer Pilger mit seinem Paulaner. Na denn Prost!
Tag 26
Foncebadón / Cruz de Ferro / Ponferrada
Die ersten Sonnenstrahlen an diesem frühen Morgen waren atemberaubend. Sie tauchten den Weg vor mir in ein tiefes Rot. So etwas hatte ich noch keinen Tag
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