101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
Tages hatte sie ein gebratenes Lamm zubereitet. In den Bauch des Tieres steckte sie vier Goldfäden, von denen jeder Faden ein ganzes Schatzhaus wert war. Dazu buk sie Brotfladen aus feinstem Mehl. Sie legte das Lamm unter die Brotfladen, stellte es auf ein Tablett aus Bambus, breitete noch eine seidene Serviette darüber und übergab es ihrer Dienerin mit der Anweisung: «Geh damit zum Haus von Ali Ibn Abdarrahmân, dem Tuchhändler.»
Die Dienerin machte sich auf den Weg, um es zum Haus des Jünglings zu bringen. Unterwegs begegneten ihr die Freunde und Zechkumpane des jungen Mannes. Sie rochen den Duft des Lammfleischs und folgten der Dienerin. Beim Haus des jungen Mannes sahen sie sie innehalten und an die Tür klopfen. Die Tür wurde geöffnet. «Nimm dieses Geschenk, mein Herr», sagte sie, und er nahm ihr das Tablett ab. Die Dienerin ging wieder davon.
Seine Freunde aber hatten alles beobachtet. «He, Abulhassan!», riefen sie ihm zu. «Das ist aber ein leckeres Essen, das dir die Dienerin da gebracht hat. Willst du uns nicht etwas davon abgeben?»
«V on euch kommt mir keiner mehr ins Haus!», wies er sie ab.
«Dann verzehren wir das Essen eben draußen in der Diele», schlugen sie vor.
«Nun gut», willigte er ein, «das sei euch gestattet.» Er wusste aber nicht, was im Bauch des Lamms steckte.
Also ließ er sie in die Diele hereinkommen, stellte das Tablett vor sie hin und ging selbst wieder ins Haus zurück, um ihnen Wasser zu holen.
Unterdessen hatten sie bereits entdeckt, dass der Bauch des Lamms gefüllt war. Sie öffneten ihn – und was sahen sie da? Die Goldfäden. Als sie das entdeckten, sagten sie zueinander: «Habt ihr das gesehen? Dieser Lüstling hat sich auf eine Affäre mit der Konkubine des Kalifen eingelassen! Wie kann das angehen? Bei Gott, diese Goldfäden kommen nirgendwo anders her als aus seinem Palast. Kommt, wir wollen seinen Fall aufdecken.» Mit diesen Worten nahmen sie die Fäden an sich und gingen damit zum Palast des Königs. «W ir haben einen wichtigen Rat für den König!», riefen sie.
Der Kammerherr trat zu ihnen heraus. «W ie lautet denn euer Rat?», wollte er wissen , und sie erzählten ihm, was sie zu melden hatten.
Da gewährte der König ihnen Zutritt und befahl, dass sie vorgelassen würden.
Sie traten ein und grüßten höflich. «Majestät», fing einer von ihnen an, «wir waren in Abdallah Ibn Abdarrahmâns Haus zum Essen eingeladen und haben diese Goldfäden hier im Bauch eines Lamms gefunden, das ihm als Geschenk geschickt worden war.» Und sie übergaben sie dem König.
Der Jüngling aber ahnte nichts von alledem. Er war mit dem Wasser aus dem Haus gekommen und hatte keine Spur mehr von ihnen vorgefunden. So nahm er das Tablett, trug es ins Haus, stellte es vor seine Mutter hin und begann zu essen und auch seiner Mutter von dem Essen zu geben.
Zur selben Zeit befanden sich seine Freunde beim König. Als der König die Goldfäden sah, verfärbte sich sein Gesicht. Er wusste sofort, dass dies ein Zeichen für ein schon fortgeschrittenes Verhältnis zwischen dem Mädchen und dem jungen Mann sein musste. Der König befahl ihnen, den jungen Mann herbeizubringen , und sie begaben sich, in Begleitung einer Schar von Sklaven, zum Haus des Jünglings.
Der junge Mann saß gerade zu Hause, als ihn plötzlich die Sklaven umringten, ihm die Hände auf den Rücken banden und ihn aus dem Haus holten. Sie schleppten ihn zum König und setzten ihn vor ihn hin.
An dieser Stelle unterbrach das Morgengrauen Schahrasad , und sie verstummte. Der König erhob sich, entzückt von ihrer spannenden Geschichte, verschloss die Tür, versiegelte sie mit seinem Siegel und begab sich in seine Regierungsgemächer.
Die dreiundfünfzigste Nacht
Er spricht:
Und in der folgenden Nacht kam der König, brach das Siegel auf und schlief mit dem Mädchen bis zu der bewussten Zeit.
Da rief ihre Schwester Danisad ihr zu: ~ Ach, meine Schwester! Ach, Schahrasad, erzähle doch unserem Herrn, dem König, deine schönen Geschichten!
~ Einverstanden, erwiderte sie. ~ Und so, mein Gebieter, geht die Geschichte weiter:
Sobald der junge Mann vor dem König eingetroffen war, stellte der ihn zur Rede: «W oher hast du diesen Faden?»
«Gott möge dem König Gedeihen schenken und ihn versöhnen», gab der Jüngling zurück. «In der Tradition des Propheten ist uns überliefert , dass Geschenke angenommen werden müssen. Ich habe ein Geschenk erhalten und es angenommen.»
«W er hat es dir
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