1018 - Die Spur der irren Luna
eine der Säulen zu. Sofort stellte ich fest, daß mich der erste Eindruck nicht getäuscht hatte. Diese Säulen bestanden nicht aus Stein. Es waren tatsächlich alte Stämme, die die Decke über uns abstützten. Holz, das einem gewaltigen Druck standhalten mußte.
Ich dachte dabei an die Lagunenstadt Venedig, deren Häuser ebenfalls auf Holzpfosten standen, und das noch mitten im Wasser.
Das Material war rissig, schartig und glänzte feucht. Suko untersuchte eine andere Säule. Ich schwenkte die Lampe. Nicht weit entfernt standen die nächsten Stempel, von denen die Decke gestützt wurde.
Dazwischen war nichts zu sehen. Nur eben diese tiefdunkle Leere, ohne Bewegung ohne eine Sonne, aber trotzdem gefüllt, denn wir hatten vorhin eine Gestalt gesehen.
Suko leuchtete die Decke ab, als ich zu ihm ging. Er sah mich und ließ die Hand mit der Lampe sinken. »Es ist nichts zu sehen, John. Kein Grabumriß. Das kommt mir so vor, als hätte man alles bewußt versteckt. Ich komme hier nicht zurecht.«
Da hatte er mir aus dem Herzen gesprochen. Trotzdem war meine innere Spannung nicht gewichen.
Ich konnte einfach nicht akzeptieren, daß wir uns durch eine unterirdische Totenhalle bewegten, in der nichts versteckt worden war oder nichts geschehen würde.
»Sie sind da«, murmelte ich, »das weiß ich genau. Hier ist ihr Hauptquartier. Wenn wir die Verbrannten finden wollen, dann unter dem Kloster.«
Suko wollte etwas sagen. Er schluckte seine Worte wieder herunter. Auch ich hielt den Atem an und rührte mich nicht von der Stelle, denn beide zugleich hatten wir etwas gehört.
Es war ein Geräusch gewesen, das nicht hierher in die unterirdische Totenhalle paßte. Ein leises Klirren oder Klingeln. Wenn Metall gegen Metall schlägt, entstehen die gleichen Geräusche. In der Stille wurde der Schall ziemlich weit getragen.
Wir hielten den Atem an und konzentrierten uns noch stärker. Wieder entstand das Klirren.
Suko nickte mir zu. Er wies mit der freien Hand in eine bestimmte Richtung. Schräg vor uns in der dunklen Tiefe verschwindend waren diese hellen Laute zu vernehmen gewesen.
Wir leuchteten hin. Die hellen Finger huschten durch die Dunkelheit, schnitten sie auf, waren wie breite Blitze, die mal hier- und mal dorthin huschten, ohne allerdings ein Ziel zu treffen. Wer immer diese Geräusche verursacht hatte, hielt sich sehr zurück. Zudem waren genügend Säulen vorhanden, die als hervorragende Verstecke dienten.
Das Klirren war verstummt. Aber wir atmeten nicht auf, denn uns erreichte eine Stimme. Es war eine Frau, die sprach. Die Stimme hörte sich hart an. Auch gläsern, wie mir schien. Ein seltsamer Vergleich, der für mich persönlich dennoch stimmte. In ihr schwang auch eine gewisse Genugtuung mit, und jedes Wort, das gesprochen wurde, hatte ein Echo.
»Willkommen im Reich der Satanssonne. Willkommen bei mir. Willkommen dort, wo ihr verbrennen werdet…«
Die letzten Worte endeten in einem kichernden Lachen, das uns auf keinen Fall amüsierte. Jetzt wußten wir Bescheid. Wir waren nicht allein in dieser fremden Welt. Eine andere Person hielt sich noch darin auf. Eine Frau, und damit hatten wir am wenigsten gerechnet.
Suko blickte in mein Gesicht. Ich wußte, daß er von mir so etwas wie eine Erklärung erwartete, aber ich konnte nur die Schultern heben, bevor ich leise sagte: »Tut mir leid, aber ich habe die Stimme noch nie zuvor gehört.«
»Ich auch nicht. Mir ist dabei trotzdem etwas aufgefallen.«
»Was denn?«
»Sie ist eine Fremde, John. Keine Britin. Sie hat eine andere Aussprache gehabt. Sie klang ein wenig hart, vielleicht auch nach südlichen Gefilden.«
Ich gab Suko zunächst keine Antwort. Bei genauerem Nachdenken mußte ich ihm recht geben. Es stimmte. Die Frau hatte mit einem romanischen Akzent gesprochen.
»Italien vielleicht«, murmelte ich.
»Genau, John.«
»Ignatius, der uns angerufen hat.«
»Eben.«
Wenn alles stimmte, hatten wir einen Teil der Verbindung erhalten. Das wäre natürlich super gewesen, wenn ein Teil in das andere hineingepaßt hätte.
Trotzdem hatten wir unsere Bedenken. Außerdem hätte uns Ignatius sicherlich von dieser Person berichtet. Immer vorausgesetzt, daß er auch entsprechend informiert gewesen war.
»Hast du die genaue Richtung feststellen können?« fragte ich Suko.
»Nein. Irgendwo da vorn.« Er wies in die Dunkelheit.
»Dann laß uns gehen.«
»Ob sie die Mörderin des Küsters ist?«
»Vielleicht. Möglicherweise ist sie sogar die
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