103 - Das Geheimnis der Maske
seltsames Geschöpf?" fragte Coco.
„Ein Kappa", sagte ich geistesabwesend. „Ein Dämon des Meeres. Ich wundere mich, wieso er im Süßwasser lebt."
„Er hat den Puppenkopf geraubt. Was unternehmen wir nun?"
„Laß mich kurz nachdenken."
Ich schloß die Augen, dann hatte ich eine Idee.
In der Schloßruine hatte ich einen alten Brunnen gesehen, aber nie daran gedacht, daß er ein Geheimgang sein könnte. Jetzt wußte ich, daß der Kappa durch ihn jederzeit in die Ruine gelangen konnte. Sicherlich hatte er sein Versteck unterhalb der Ruine. Möglicherweise hatte sich der Kappa ein Netz von unterirdischen Kanälen angelegt, so daß er praktisch jeden Brunnen von Tsuwano und Umgebung erreichen konnte.
„Hol das Auto, Coco!" sagte ich. „Wir fahren zur Ruine. Ich gehe nur kurz zu Aki-Baka."
Coco gehorchte, und ich betrat das Haus.
„Ich benötige eine feste Schnur, Aki-Baka", sagte ich.
Der Puppenmacher stand auf, öffnete einen Schrank und holte eine Rolle Schnur hervor. Ich prüfte die Schnur. Sie war stark und für meine Zwecke geeignet.
Ich warf dem Puppenmacher einige Geldscheine auf den Tisch.
„Die Puppe, die du für mich angefertigt hast, Aki-Baka, schenke ich Yukio."
Ich löste den hypnotischen Bann.
„Bringen Sie Ihren Sohn nach Hause, Hasegawa!" sagte ich. „Von den Hundemenschen droht keine Gefahr mehr. Alle sind tot."
Ich winkte ihnen zu und stapfte aus der Hütte. Rasch stieg ich in den Wagen und Coco fuhr los. „Was willst du mit der Schnur?"
„Tauchen", sagte ich.
Sie warf mir einen verständnislosen Blick zu und war noch mehr verwundert, als ich aus meinen Kleidern schlüpfte.
„Was hast du vor?" fragte sie.
„Ich werde mich in einen Kappa verwandeln und in den Schloßbrunnen springen."
Rasch erzählte ich ihr von meiner Vermutung.
„Wieso weißt du so gut über den Kappa Bescheid?"
„Ich glaube, daß ich diesem Kappa schon einmal in der Vergangenheit begegnet bin. Ob es tatsächlich dieser ist, kann ich aber nicht beschwören."
Ich schloß die Augen und dachte nach. Sollte ich den Kappa finden, dann gab es eine Möglichkeit festzustellen, ob es tatsächlich jener war, dem ich vor mehr als dreihundertfünfzig Jahren begegnet war.
Sommer 1607
Die Handhabung der Dschunke war höchst einfach. Das Meer war noch immer ruhig, und wir machten gute Fahrt. Tomoe schlief. Marzi lehnte an einem Mast; die Augen hatte er geschlossen.
Ich ging langsam auf und ab. Weit vor uns sah ich einige kleine Inseln.
Mir fielen die Worte des Matrosen ein, daß heute das Fest der Toten wäre. Ich wußte, was das zu bedeuten hatte, doch ich ließ mich davon nicht beeindrucken. Das war ein alter Aberglaube, von dem ich nicht viel hielt. Viele Japaner glaubten aber daran.
Angeblich sollte das Meer während des Festes der Toten unruhig sein. Das traf jedoch nicht zu: das Meer war völlig ruhig. Aber plötzlich wurde es unruhig. Dunkle Wolken zogen über den Himmel, und der Wind frischte auf. Die Dschunke ächzte.
Marzi stand auf und hielt sich fest. „Sieht so aus, als würde ein Sturm aufkommen."
Ich nickte und blickte zu Tomoe hinüber, die leise stöhnte. Sie war erwacht, hob den Kopf und setzte sich mühsam auf. Ihre Augen wurden groß, als sie die wildbewegte See sah.
„Der Bon", sagte sie laut.
„Unsinn", entgegnete ich heftig.
Bon war das Fest der Toten, das auf den 13., 14. und 15. des siebenten Monats fiel.
Tomoe stand auf. „Heute ist der 16. Tag. Da ist es am schlimmsten. Niemand wagt sich an diesem Tag auf die See. Wir sind verloren."
Ich antwortete nicht.
„Seht ihr nicht die Shoryobune?"
Ich hatte sie schon seit längerer Zeit gesehen. Es waren kleine Seelenschiffchen, die von der abergläubischen Bevölkerung bei Einbruch der Dunkelheit aufs Meer hinausgeschickt worden waren. In diesen kleinen Schiffchen brannten Lampen. Sie sahen seltsam aus, diese leuchtenden Schiffe, die sich dauernd vermehrten. Sie schienen alle auf die Dschunke zuzuschwimmen.
„Diese Nacht ist das Meer die Heerstraße der Toten", sagte Tomoe.
„Geh unter Deck!" befahl ich. „Der Sturm wird immer stärker.
Marzi hatte die Segel eingeholt. Die Dschunke wurde trotzdem immer schneller. Blitze zuckten über den Himmel, und die ersten schweren Tropfen fielen.
Ich packte Tomoe und zerrte sie in eine winzige Kajüte. Sie hatte entsetzliche Angst.
„Hotoke-umi, die Buddha-Flut, wird uns verschlingen", schrie sie entsetzt. „Hörst du nicht die Stimmen, Tomotada? Das ist die Flut der
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