1035 - Die Totenkammer
unter den Kollegen. Sie alle sind honorige Persönlichkeiten. Geehrt und geachtet. Ich wüßte keinen dunklen Fleck auf ihren Westen. Das können sie sich auch gar nicht leisten. Sie würden sofort vom Dienstbetrieb ausgeschlossen. Nein, nicht hier in Eaton. So etwas würde unseren Ruf ruinieren.«
»Es war auch nur eine der Möglichkeiten, die in Betracht gezogen werden sollten.«
»Richtig, Mr. Sinclair. Ich bin froh, daß Sie ehrlich waren. Nur kann ich Ihrer Meinung nicht folgen.« Er hob seine Schultern. »Für mich ist diese Spur eine falsche.«
»Wir werden sehen«, sagte ich. »Dennoch hätte ich gern eine Namensliste der Lehrkräfte.«
Etwas pikiert gab der Dekan die Antwort. »Ich werde meiner Sekretärin sagen, daß sie Ihnen diese Liste zusammenstellt.«
»Wird es lange dauern?«
»Ja… ähm … ich weiß nicht, mit welcher Arbeit sie vorrangig beschäftigt ist.«
»Unsere Bitte hat Vorrang.«
»Gut, dann…«
Das Klopfen hatten wir wegen der Polsterung innen wohl überhört. Wir sahen nur, wie sich die Tür öffnete und die Frau im grauen Kostüm auf der Schwelle stehenblieb. »Sir, ich störe nur ungern, aber da ist dieser Inspektor Bancroft, der Sie unbedingt sprechen will. Er läßt sich nicht vertrösten und…«
»Schicken Sie ihn bitte zu uns«, sagte ich.
Das wollte die Frau nicht akzeptieren. Sie blickte ihren Chef an, der ebenfalls nicht dazu kam, eine Antwort zu geben, denn der Kollege war bereits da. Er schob die Sekretärin zur Seite, ging ein paar Schritte weiter und blieb lächelnd stehen.
Ein Mann, der genau wußte, was er tat und wert war. Kein verknöcherter Polizeibeamter, sondern ein jüngerer, lockerer Typ mit halblangen, braunen Haaren, der eine Lederjacke, Jeans und ein dunkelgrünes Hemd trug. Sein Gesicht war sonnenbraun, als wäre er erst gestern aus dem Urlaub zurückgekommen.
»Sie müssen die Kollegen Sinclair und Suko sein«, sagte er und nickte uns zu.
»Stimmt.«
»Man hat mich informiert.« Er reichte uns die Hand und stellte sich dabei vor.
Der Dekan bewegte die Hand, als wollte er etwas wegwischen.
Seine Mitarbeiterin verstand die Geste und zog sich wieder in ihr Zimmer zurück.
Da kein dritter Stuhl vorhanden war, nahm Bancroft kurzerhand auf der Fensterbank Platz. »Ich habe ja nichts gegen Großstadtmenschen und bin auch bereit, gern mit euch zusammenzuarbeiten, aber in diesem Fall könnten auch Sie sich die Zähne ausbeißen, denke ich.«
»Wir haben bereits Einzelheiten erfahren.«
»Und?«
Ich war ehrlich und sagte: »Es sieht nicht gut aus.«
»Ja. Oder sah nicht gut aus.«
Das überraschte uns. »Gibt es etwas Neues?« fragte Suko.
Der Kollege verzog das Gesicht. »Ich denke schon, daß ich mit einigen Neuigkeiten aufwarten kann. Besser gesagt, nur mit einer. Es dreht sich um den letzten Fall. Da hat sich bei mir ein Student gemeldet, der Terry Oglio heißt. Er war ein Bekannter oder Freund der zuletzt verschwundenen Mandy Frost. Laut seiner Aussage müssen sich die beiden am Abend vor dem Verschwinden der jungen Frau noch getroffen haben, und zwar aus einem bestimmten Grund.«
Für mich machte er es zu spannend. »Aus welchem?« fragte ich.
»Es ging um einen Schlüssel. Besser gesagt, um einen Nachschlüssel in der Bibliothek. Fragen Sie mich nicht, warum dieser Terry Oglio den Schlüssel überhaupt besaß. Jedenfalls hat er ihn dieser Mandy Frost an dem fraglichen Abend übergeben.«
Das war in der Tat eine Neuigkeit. Wir brauchten eine Weile, um sie zu verkraften.
Der Dekan meldete sich als erster, und er regte sich dabei auch auf. »Das ist unerhört. So etwas ist…«
Ich unterbrach ihn. »Hat Ihnen dieser Terry Oglio gesagt, was Mandy Frost mit dem Schlüssel vorhatte?«
»Nein, das hat er nicht.«
»Bewußt nicht?«
Bancroft beugte sich vor und lächelte. »Das kann ich mit Sicherheit ausschließen. Dank meiner Menschenkenntnis könnte ich darauf wetten, daß er mich nicht angelogen hat. Außerdem ist er freiwillig zu mir gekommen. Das hätte er auch nicht zu tun brauchen.«
»Trotzdem finden ich es unerhört!« meldete sich der Dekan wieder zu Wort. »Ich werde diesen jungen Mann zur Rechenschaft ziehen müssen, das ist meine Pflicht.«
Suko und ich kümmerten uns nicht um das Gerede. Der Kollege war wichtiger. »Sagen Sie, können wir mit dem jungen Mann sprechen? Wissen Sie, wo er sich aufhält?«
»Klar, Kollege.« Bancroft lächelte breit. »Er wartet unten in meinem Wagen.«
»Dann gehen wir doch hin«, sagte
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