1061 - Die Macht der Rhein-Sirenen
fiel der Widerstand sofort weg. Auch diese Reste segelten als Pulver dem Boden entgegen.
Die Figur und Hildegard Klose waren eine Verbindung eingegangen. Die Kraft meines Kreuzes hatte die Verbindung gestört und zugleich Hildegarda stärker gemacht.
Ihre Worte waren mir sehr wohl in Erinnerung geblieben. Ich tat sie auch nicht als leere Drohung ab. Sie würde nicht von ihrem Ziel abweichen. Es hatte sich einmal in ihrem Kopf festgesetzt, und das würde auch so bleiben. Wobei sie die Grenzen zwischen Mystik, Magie, Wahnsinn und der Normalität überschritten hatte.
Für mich galt es, mich neu einzurichten und umzustellen. Frustriert war ich ebenfalls, denn ich hatte nicht vergessen, daß Hildegarda sich nicht weit von uns entfernt aufhielt. Sie war also da. Sie wartete, doch hier im Haus oder in der Nähe würde ich sie nicht finden können.
Harry Stahl stellte eine leise Frage. »Bist du jetzt ansprechbar, John?«
Ich drehte mich um und lächelte. »Klar.«
»Das ist gut.« Harry stand neben der Tür. Ein Teil seiner Gestalt wurde vom Sonnenlicht bestrahlt. Ich erkannte den Streß in seinem Gesicht, denn er hatte keine Erklärung für das, was wir erlebt hatten. Deshalb hob er auch die Schultern, als er mich ansprach. »Du hast es lange ausgehalten, und ich denke, daß du mittlerweile mehr weißt als ich. Oder täusche ich mich da?«
»Nein, du irrst dich nicht.«
»Darf ich denn erfahren, was passiert ist?«
»Ja. Und ich habe so etwas wie eine Lösung präsentiert bekommen. Natürlich fehlen noch die Einzelheiten, aber wir wissen jetzt etwas genauer, mit wem wir es zu tun haben.«
»Mit einer psychisch Kranken?«
»Das auch. Zugleich mit einer Person, die mit ihrem –«, ich dachte über den richtigen Vergleich nach, »– Herzblut und ihrer ganzen Liebe an der Hildegard von Bingen gehangen hat. Sie wollte nicht nur so sein wie sie, nein, sie ging noch einen Schritt weiter. Sie will Hildegard von Bingen übertrumpfen. Noch mehr sein. Was bei der echten Hildegard Theorie war, das wollte sie in die Praxis umsetzen oder will es noch tun.«
»Wie denn?«
Ich berichtete Harry, was Hildegard Klose vorhatte, und auch, daß sie nicht allein stand. Daß die nächste Nacht wichtig werden würde, weil sie sich stark genug fühlte, um Menschen in ihrem Sinne zu bekehren.
Harry verzog den Mund. »Verdammt noch mal, sie ist doch keine Missionarin.«
»Nicht direkt. Aber wer nicht für sie ist, der ist gegen sie. Du weißt, was das bedeutet?«
»Ja – Tod. Oder Mord.«
»Genau.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich muß hier raus, ich muß an die frische Luft. Ich will meine Gedanken endlich wieder ordnen können. Oder willst du noch bleiben?«
»Nein, natürlich nicht.«
Harry ging vor. Ich blieb noch, weil ich mir die Figur zum letztenmal anschauen wollte. Sie war verändert. Nicht äußerlich, aber in ihrem Innern. Da war ihr die Kraft genommen worden, die sich nun auf Hildegarda übertragen hatte. Ich wollte sie nicht völlig zerstören und ließ sie als Andenken auf dem kleinen Altar stehen, wieder flankiert von den Kerzen.
Harry Stahl ging bereits die Treppe hinunter. Ich hörte seine Schritte als Echos und auch, wie er die Haustür öffnete. Wenig später ging ich aus dem Haus.
Dabei mußte ich Harry recht geben.
Die Luft hier war kein Vergleich zu der unter dem Dach. Sie roch frisch wie der Frühling.
Harry lehnte sich aus seinem Wagen. Er trug jetzt eine Sonnenbrille. »Du hast von der Nacht gesprochen«, sagte er, als ich an ihn herantrat.
»Klar.«
»Bis dahin haben wir noch Zeit.«
»Das weiß ich.«
»Und was machen wir so lange?«
Ich schaute an ihm vorbei und konnte einen Teil der Hügel auf der anderen Rheinseite sehen. »Ich habe nicht vergessen, daß es noch eine Jane Collins gibt, die verschwunden ist. Sie hält sich bei den Rhein-Sirenen auf. Sie ist dort gefangen.«
Stahl schüttelte den Kopf. »Sirenen? Wie kommst du denn darauf?«
»Das stammt nicht von mir. Hildegarda hat das Wort benutzt. So nennt sie ihre Getreuen.«
Harry räusperte sich. »Und was ist mit Jane Collins? Können wie sie auch zu einer der Getreuen zählen?«
Mein Blick verdüsterte sich. »Ich hoffe nicht…«
***
Es war für Jane Collins einfach wunderbar gewesen, obwohl sie mit beiden Füßen im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr auf der Erde stand. Durch die andere, von Amy ausgehende Kraft, war es ihr gelungen, diese Reise zu unternehmen, wobei sie das Gefühl für Zeit und Raum sofort verloren
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