1062 - Station der Porleyter
Bestattung."
„Sie waren keine Tiere", sagte Sagus-Rhet mit Bestimmtheit. „Sie waren vernunftbegabte Wesen, die durch Mutationen die Gestalt von Monstern bekommen hatten. Schau dir die Schädel an! Keiner gleicht dem anderen, und jeder stellt eine andere Mischung von protosimianischen, protofelinischen, protosaurischen und protoursinen Elementen dar. Viele passen überhaupt nicht in die Artenschematik."
„Es ist grauenhaft", sagte Kerma-Jo zitternd. „Wie müssen sie sich gefühlt haben? Denn Gefühle kannten sie, sonst hätten sie ihre Toten nicht bestattet."
„Sie kennen Gefühle", korrigierte Sagus-Rhet ihn. „Die Wesen, die uns mit Steinen bombardiert haben, können nur ihre Verwandten gewesen sein. Da kommt mir ein Gedanke. Erinnerst du dich auch noch an die vielen Fußspuren? Es waren die Fußspuren Flüchtender. Ich werde versuchen, das Alter mehrerer Skelette mit der Radiokarbonmethode zu bestimmen."
Er fuhr eine Sonde aus, dann hielt er inne, denn er besann sich darauf, daß er als Darghete den Zerfallsgrad der radioaktiven Isotope des Kohlenstoffs besser erkennen konnte als jedes Meßinstrument.
Um die dichtgepackten Atome seines Nuguun-Keels als Störfaktor auszuschalten, öffnete er das Bugvisier und streckte seine Subatomar-Taster in die eisige Luft der Höhle.
Es dauerte einige Zeit, bis er den Schock durch die einströmende kalte Luft überwunden hatte und die Wolke, die durch die wasserdampfgesättigte warme Luft im Innern seines Geräts vor dem Bug entstanden war, sich verzog.
Danach konzentrierte er sich mit seinen feinnervigen Nachweisinstrumenten für subatomare Teilchen auf den nächsten Schädel. Er brauchte seine Fähigkeit nicht voll einzusetzen, da er nicht in den subatomaren Bereich „hinabsteigen" mußte. Die Radiokarbon-Methode beruhte auf der Tatsache, daß jeder lebende Organismus einen gewissen Anteil der radioaktiven Isotope von Kohlenstoff und einigen anderen Elementen aufnahm.
Während seiner Lebensspanne hielt jeder Organismus ein bestimmtes Verhältnis dieser Isotope zu „normalen" Teilchen in seinem Körper aufrecht. Aber wenn nach seinem Tod die Neuaufnahme der radioaktiven Isotope unterbrochen wurde, dann zerfielen diese Isotope innerhalb einer bestimmten Zeit.
Dazu muß erklärt werden, daß das CO2 der Luft unter anderem radioaktives C14 enthält, das eine Halbwertszeit von 2060 Dargheta-Jahren besitzt (was 5500 Terra-Jahren entspricht, da Darghetas Tag statt 24 Stunden nur 21 Stunden hat und das Jahr 854 Dargheta-Tage, die rund 961 Terra-Tagen entsprechen).
Der Zerfallsvorgang ähnelt einem sehr zuverlässigen Uhrwerk, das im Augenblick des Todes zu ticken beginnt. Eine Untersuchung des Zerfallsgrades ermöglicht deshalb eine ziemlich exakte Angabe darüber, wie lange diese Uhr schon tickt.
Sagus-Rhet brauchte nur zwölfmal einen zehntausendstel Tag, um den Zerfallsgrad beim ersten Schädel zu ermitteln. Danach wußte er, daß der Tod beim ehemaligen Besitzer des Schädels vor 3745 Dargheta-Jahren eingetreten war. Diese Zeitangabe galt allerdings nur unter der Voraussetzung, daß die Zusammensetzung von Nahrung und Atemluft zu Lebzeiten des Verstorbenen ähnlich beschaffen gewesen war wie die der Bewohner von Dargheta.
Doch es ging Sagus-Rhet gar nicht darum, ob die Zeitangabe den Tatsachen entsprach, sondern um etwas ganz anderes. Er fand es heraus, indem er und schließlich auch Kerma-Jo insgesamt dreihundert Schädel von verschiedenen Stellen des Felsbandes untersuchten.
„Sie alle sind zur gleichen Zeit gestorben", nannte Sagus-Rhet das Ergebnis ihrer Untersuchungen. „Die winzigen Abweichungen unserer Ergebnisse bedeuten wahrscheinlich, daß sie innerhalb einiger Tage umgekommen sind, also nicht im selben Augenblick."
„Aber woran?" fragte Kerma-Jo.
„Ich habe an mehreren Schädeln Bakteriensporen ‚gesehen’, deren subatomare Struktur darauf hindeutet, daß sie rote Blutkörperchen zersetzen können", erklärte Sagus-Rhet.
„Diese Wesen sind also an einer Seuche gestorben."
„Aber so plötzlich", wandte Kerma-Jo ein. „Und wovor sind sie geflohen?"
„Das werden wir wohl nie erfahren", meinte Sagus-Rhet. „Doch ich kann mir vorstellen, daß diese Wesen nach einem Höhlenleben, das sich über viele Generationen nach der Katastrophe hingezogen haben muß, an die Oberfläche gingen und daß sie dort von Fremden entdeckt und mit bakteriologischen Waffen bekämpft wurden."
„Mit bakteriologischen Waffen?" dudelte Kerma-Jo entsetzt.
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