108 - Die Werwölfe des Dr. Satanas
Galley eilte zur Korridortür und lief nach oben. Sie
klopfte an die Tür und hörte, wie sich Schritte näherten. Nelly sah aus wie die
Großmutter aus dem Märchen. Eine gütige, alte Frau, die gebückt ging und
schneeweißes Haar hatte, das sie hochgesteckt trug.
„Willst du
noch zum Kaffee zu mir kommen?“, fragte Aunt Nelly nach kurzer Begrüßung. „Das
ist nett von dir. Aber du bist heute Morgen spät dran.“
„Ich habe
verschlafen.“
„Kein Wunder,
mein Kind!“ Die alte Dame zog die Augenbrauen empor, und um ihre Lippen spielte
ein amüsiertes Lächeln. Sie ging in die Küche voran.
„Wie meinst
du das?“, fragte Brenda Galley überrascht, die eigentlich etwas anderes hatte
sagen wollen, aber durch die Bemerkung anders reagierte.
„Du hattest
Besuch, nicht wahr?“ Aunt Nelly glättete ihre weiße, frisch gestärkte Schürze
und zupfte sich den Kragen der Bluse zurecht .
Brenda Galley
glaubte nicht recht zu hören. „Aber nein ... wie kommst du denn darauf?“
„Nun, ich
habe ihn Weggehen sehen.“
Eine
Explosion in unmittelbarer Nähe der Forscherin hätte nicht minder ihr
Erschrecken verursacht. „Aber das kann nicht sein, Nelly. Ich bin allein
gekommen, wie immer.“
„Der Mann hat
gegen ein Uhr dein Haus verlassen, Liebes.“
„Ein Mann?“
„Mhm.“ Nun
grinste die Zweiundachtzigjährige von einem Ohr zum anderen, dass man es schon
als unverschämt hätte bezeichnen können. „Das Sandmännchen jedenfalls war es
nicht.“
„Ich verstehe
überhaupt nichts mehr“, stieß Brenda Galley verwirrt hervor.
„Hat er dich
so beeindruckt, meine Liebe? Na endlich, kann ich da nur sagen. Es ist höchste
Zeit, dass du den Richtigen kennen lernst. Nur deine Arbeit und deine
Interessen ... Das reicht auf die Dauer nicht. Du gehörst ins Haus, du müsstest
endlich Kinder haben. Ich spreche aus Erfahrung.“ „Aber du warst selbst nie
verheiratet, Nelly!“
„Eben. Jetzt
weiß ich, was mir entgangen ist. Hätte ich geheiratet und Kinder zur Welt
gebracht, viele Kinder, dann könnte ich jetzt in der Gegend herumreisen und
meine Kinder und Enkelkinder aufsuchen.“
Brenda Galley
hatte kein Verständnis für die humorvollen Eskapaden der alten Dame. „Du hast
geträumt, Nelly ...“
„Hab’ ich
zuerst auch geglaubt“, antwortete sie trocken. „Aber dem war nicht so! Ich war
hellwach. Das nächste Mal braucht er sich allerdings nicht so klammheimlich aus
dem Staub zu machen, Kleines ... Ich hätte ihn gern kennengelernt. Das nächste
Mal also kommt ihr zum Frühstück gemeinsam zu mir...“
Die
Forscherin hätte gern mehr über die merkwürdige Angelegenheit wissen wollen.
Aber ihr stand nicht mehr genügend Zeit zur Verfügung. Sie rief Aunt Nelly zu,
dass sie heute Abend über alles sprechen wollte, und lief wieder nach unten.
Aunt Nelly war klar bei Verstand, und alles klang sehr überzeugend, obwohl es
jeglicher Vernunft widersprach. Brenda Galley verließ durch die Seitentür das
Haus und betrat die Garage. Als die Wissenschaftlerin ihren Platz am Lenkrad
einnahm, wurde ihr bewusst, dass ihr selbst unbekannt war, wie sie in der
letzten Nacht überhaupt nach Hause fand... Wenn sie davon nichts wusste, konnte
es auch ohne weiteres möglich sein, dass sie jemand mitgebracht hatte.
Nachdenklich und wie versteinert steuerte sie ihren Wagen die Straße entlang.
Es waren schon einige andere Fahrer unterwegs. Brenda Galley musste an einen
anderen Vorfall der letzten Nacht denken. Professor Coleman und sie hatten im
Labor Schritte vernommen, aber letztendlich nicht den Verursacher entdeckt. So
gingen
sie davon
aus, dass sie sich getäuscht hatten. War es wirklich eine Täuschung gewesen
oder hielt sich jemand in der Nähe des Labors auf und konnte sich nur
rechtzeitig verstecken? Spion einer anderen Macht? War es Coleman doch nicht
gelungen, seine ungeheuerliche Entdeckung so geheim zu halten, wie es notwendig
gewesen wäre? Hatte der Fremde ihr aufgelauert? Zahllose Gedanken wirbelten ihr
durch den Kopf, ohne dass es ihr gelang, eine klare Richtung zu finden. Eine
Verfolgung durch einen Fremden, den Aunt Nelly in Unkenntnis der Lage für ihren
Begleiter hielt, warf aber blitzartig auch ein Schlaglicht auf die ganz
verworrene Situation. Sie war durch eine Droge beeinflusst worden! Brenda
Galley ahnte dies mit plötzlicher Gewissheit, dass sie Bauchkrämpfe bekam und
ihre Finger so fest um das Lenkrad klammerte, dass die Knöchel weiß
hervortraten. Ein Bild drängte sich ihr auf.
Weitere Kostenlose Bücher