1101 - Die Rache des Griechen
verlorenem Posten.
»Er lebt, Johnny. Azrael lebt. Er weiß genau, was er sich und uns schuldig ist. Ich habe ihn geholt. Ich habe ihn unter all dem Schutt ausgegraben. Ich habe Millionen eingesetzt. Ich habe Menschen bestechen müssen, und es hat sich gelohnt, verdammt noch mal.«
Der Engel zitterte. Johnny spürte es deutlich. Dieses Zittern rann durch den gesamten Körper, und es blieb nicht dabei, denn es war so etwas wie ein Beginn.
Er hob den rechten Arm.
Er spreizte die Hand.
Dann griff er zu!
Plötzlich war Johnny sein Gefangener. Die Hand hatte sich brutal um sein eigene geklammert, hielt die vier Finger fest und drückte sie zusammen. Den Daumen aber ließ sie frei. Er stand abgespreizt in die Höhe, so wie es Leonidas haben wollte.
Der Grieche verließ seinen Platz hinter Johnny und lachte leise. Er war jetzt in seinem Element und brauchte ihn auch nicht zu bedrohen, denn er würde es nicht schaffen, sich aus dem Griff dieser Gestalt zu befreien.
Leonidas trat an Johnnys rechte Seite. Er sah einen Jungen, der sich quälte und unter schier wahnsinniger Angst litt, denn er hatte die Drohung des Rächers nicht vergessen.
Leonidas lachte leise. Er schob das Messer so weit vor, damit Johnny die Klinge genau sehen konnte. Das grüne Licht spiegelte sich darin.
»Schau mich an, Conolly!«
»Nein!«
»Es ist soweit. Ich habe es deiner Mutter versprochen, und jetzt werde ich mein Versprechen halten. Ich werde dir als erstes den rechten Daumen abschneiden. Dein Blut wird auf den Körper des Engels tropfen und ihm noch mehr Stärke verleihen. Du bist das Opfer für den Engel, Johnny - nur du…«
Leonidas hatte genug gesprochen. Die Klinge näherte sich dem Daumen, um ihn unten, wo der Handballen begann, abzuschneiden…
***
Es war gut, daß wir Lampen mitgenommen hatten, denn in dieser Unterwelt gab es kein Licht. Obwohl die nach oben führende Treppe hinter uns lag, bewegten wir uns noch unterhalb des normalen Niveaus, zumindest konnte man bei diesem rätselhaften Labyrinth in dem wir steckten, davon ausgehen.
Die neue Umgebung war eine Überraschung. Drei Lampenstrahlen huschten wie helle Arme umher. Sie irrten und zitterten über alte Mauern hinweg, tauchten in schmale Gassen ein, die sich zwischen ihnen gebildet hatten oder verloren sich manchmal, in dieser dicken, tintigen und dichten Schwärze.
Diese Welt war zugleich auch eine Falle, in der zahlreiche Gefahren lauern konnten. Wir hatten die fünf Helfer des Griechen nicht vergessen.
Sie mußten einfach diesen Weg genommen haben, einen anderen hatten wir nicht entdeckt.
Bill, der neben mir stand, leuchtete schräg zu Boden und gab meinen Schuhen einen hellen Glanz.
»Wir sind richtig, John, das spüre ich. Ich weiß es verdammt gut, aber…«
»Wir sollten uns trennen.«
»In diesem Labyrinth?« flüsterte er. »Bist du wahnsinnig?«
»Es ist wichtig, so schnell wie möglich einen Ausweg zu finden. Jede Sekunde, die vergeht, ist verloren, und Johnny könnt es ausbaden.«
Bill war noch nicht überzeugt. Dann hörten wir beide die Stimme des Inspektors. »Kommt, ich glaube, ich habe einen Weg gefunden.« Um zu zeigen, wo er sich aufhielt, leuchtete Suko gegen die Decke. Dort malte sich der Lichtkreis wie ein Mond ab.
Er stand nicht weit von uns entfernt, trotzdem verliefen wir uns zweimal, wobei wir einmal in einer Sackgasse landeten. Endlich hatten wir ihn gefunden.
»Was macht dich so sicher?« fragte ich.
Suko leuchtete den Boden an. Dort waren Spuren zu sehen. Keine scharfen Abdrücke, aber man konnte erken-, nen, daß vor kurzer Zeit hier jemand hergegangen war. Der alte und klebrige Staub hatte sich noch nicht völlig gesenkt.
»Wir sind richtig!« flüsterte Bill. »Hast du die Spuren schon verfolgt?«
»Nein, ich wollte auf euch warten.«
»Dann los!«
Wir bewegten uns vor. Gingen hintereinander. Drei Lampen, drei Strahlen, die einen hellen Teppich vor uns herschoben. Bleiches Licht, das jede Kontur und jedes Stück Mauer scharf aus der Schwärze riß. Es waren antike Mauern. Wer immer hier gelebt haben mochte, er hatte es verstanden, den perfekten Irrgarten zu schaffen. Wir wußten nicht, wie groß diese unterirdische Welt war. Sicherlich nicht so wie die des Königs Monos auf Kreta damals.
Wo steckten unsere fünf Todfeinde?
Nichts war von ihnen zu sehen. Der alte Boden schien sie aufgesaugt zu haben.
Eine Wand hielt uns auf.
Nein, es war nur ein Schatten. Suko, der vorging, konnte sich rechts um die Mauerecke drehen.
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