Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
Vom Netzwerk:
Größe in den Untersuchungen vor einer Medikamentenzulassung. Und da wir im Rettungsdienst ja das Maximum für unsere Kunden herausholen wollen, hat eine findige Notärztin bei einem Einsatz alle drei Methoden gleichzeitig angewandt. Es hat sogar geholfen.
    An einem Sonntag hatten Steffen und ich Notarztdienst und oxidierten auf den Sesseln der Wache vor dem anspruchslosen nachmittäglichen Fernsehprogramm herum.
    «Kommt denn nichts mit mehr Niveau? Immer nur diese minderwertigen Trash-Dokus mit Stammtischweisheiten», maulte ich.
    Steffen war da eher der Typ, der «Berieselungsfernsehen» bevorzugte. «Nö», sagte er, die Fernbedienung in der Hand, und stichelte weiter: «Deine philosophischen Diskussionen auf Arte liefen schon heute Morgen. Damit kann ich jetzt nicht dienen.»
    «Dann schalte wenigstens auf Werbung um. Das ist allemal interessanter als das Zeug, das du da guckst. – Ach was, ich hole mir aus der Kantine einen Kaffee. Selbst das ist gehaltvoller», brummelte ich und wollte gerade losgehen. Doch mein Unterfangen wurde durch das fordernde Klingeln unserer Pager abrupt beendet: «Schmerztherapie bei Pat. mit Rücken», hieß es lakonisch auf dem Melder. Ich schaute auf das Alarmschreiben, das parallel zum Klingeln der Piepser aus dem Alarmdrucker kam und auf dem neben dem Anfahrtsweg noch weitere Informationen zum Notfall standen. «Da ist schon ein Retter vor Ort», informierte ich Steffen, der sich seine Stiefel anzog, «der braucht aber wohl für den Patienten Schmerzmittel. Nachforderung also.» Entgegen der Meinung vieler unserer Patienten ist nicht jeder, der eine rote Jacke trägt, auch automatisch zur Verteilung von Drogen berechtigt. Das darf nur ein Arzt. Und die «Wunderspritze», die Patienten immer mal wieder von uns verlangen, um nicht ins Krankenhaus zu müssen, haben wir sowieso nicht im Sortiment.
    Nachdem die Notärztin zu uns stieß, die im Krankenhaus unterwegs gewesen war, fuhren wir mit Sondersignal los. Auch ihr teilte ich die weiteren Informationen, die ich hatte, mit: «Da sind schon Kollegen vor Ort, wir brauchen also nicht das ganze Gedöns mit reinnehmen. Der Medikamentenkoffer reicht, Beatmungsrucksack und EKG sollten beim Patienten sein.»
    «Was ist denn das für ein ‹Rücken›? Eine Verletzung?», hakte sie nach.
    «Kann ich nicht sagen. Steht auch nicht näher auf dem Alarmschreiben», musste ich sie enttäuschen.
    Wir erreichten die Adresse, eine Wohnsiedlung mit Mietskasernen aus den sechziger Jahren. Kurz darauf betraten wir ein enges Erdgeschoss-Apartment. Die kleinen, düsteren Räume waren zugestellt mit allem, was man so an brauchbaren Möbeln auf dem Sperrmüll findet. Säuerlicher Geruch hing in der Luft, die wohl schon länger nicht mehr ein offenes Fenster passiert hatte. Im nikotinvergilbten Wohnzimmer warteten die beiden RTW -Kollegen, zwischen ihnen lag ein etwa vierzigjähriger Mann mit nacktem Oberkörper, einer Trainingshose und – sagen wir mal – enorm viel Masse auf dem Boden und jammerte. Er hatte gut und gerne mindestens 160 Kilogramm auf den Hüften! Bei jeder Bewegung quiekte er los wegen seiner starken Rückenschmerzen. Und aufsetzen ließ er sich gar nicht.
    «Was ist denn passiert?», fragte die Studierte in die Runde.
    Der Patient klagte fortwährend, dass er starke Schmerzen habe, wollte aber nicht einmal zeigen, wo es denn genau wehtat, um sich nicht bewegen zu müssen. Doch die Kollegen vom Rettungswagen hatten vor unserem Eintreffen etwas mehr herausbekommen, sie berichteten: «Der Mann sagte, er habe nichts Schweres gehoben, sondern sei nur vom Sofa aufgestanden und habe augenblicklich einen Stich im Rücken gespürt. So im Lendenbereich. Und diese Schmerzen halten seitdem an, sie sind aber auch bewegungsabhängig. Gestürzt ist er wohl nicht, er hat sich nur wegen der Schmerzen auf den Boden gelegt.»
    Ja, und da befand er sich noch immer, den Kopf fast an der Heizung, die Füße am Tisch vorbei, knapp vor dem Sofa und einem Fernsehschrank, hinter ihm ein Sessel. Den einzigen freien Platz im Raum nahmen nun die RTW -Besatzung und die Ärztin ein. Steffen und ich mussten im Flur warten. Wie gesagt: Es war sehr eng in der Wohnung.
    Frau Doktor äußerte nach der Untersuchung den Verdacht, dass der Patient eine muskuläre Blockade im Rücken habe, da die Schmerzen «einfach so aus der Bewegung heraus» aufgetreten seien. Eine Verletzung schloss sie ebenfalls aus, da der massige Herr nicht gefallen war. Trotzdem musste er zur

Weitere Kostenlose Bücher