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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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Anzug gehörige Weste – im Gegensatz zu den automatischen Westen – nicht bei Wasserkontakt von selbst auf, sondern dieser Vorgang wird manuell durch eine Reißleine ausgelöst. Daher ist sie für gewöhnlich speziell mit einem Hinweiszettel gekennzeichnet. Zusammen mit zwei weiteren, allerdings automatischen Schwimmwesten liegt sie in einem großen Sack, in dem auch der Anzug und weiteres Zubehör steckt. Und dieser Sack wartet in der Fahrzeughalle auf seinen Einsatz.
    Dieter, Kevin und ich saßen an einem Mittwochnachmittag im Wachsaal bei einer Tasse Kaffee und ließen uns von unserem Wachführer etwas über die technischen Besonderheiten von Photovoltaik-Anlagen erzählen. Wachunterricht ist bei der Feuerwehr ein ebenso regelmäßiger wie ungeliebter Teil des Dienstalltags. Doch gerade als wir anfingen, mit unserer Konzentration zu kämpfen, um dem Wachführer in seinen etwas trockenen Ausführungen weiter folgen zu können, ging das Alarmlicht an. Dem Knacken in den Wandlautsprechern folgte die eindringliche Stimme des Leitstellenpersonals: «Einsatz für das LF . Person im Wasser zwischen Schleuse und Hermann-Sauer-Brücke!»
    Wir sprangen auf, fast erleichtert über die Störung des Unterrichts, und waren noch vor unserem Wachführer aus dem Saal verschwunden. Dieter, der in dieser Schicht als Maschinist eingeteilt war, zog das Alarmschreiben aus dem Alarmdrucker und informierte uns im Laufen über das, was er dort las: «Die Tauchergruppe, der technische Zug der Hauptwache und ein Rettungsboot sind ebenfalls unterwegs. Aber wir werden zuerst an der Brücke eintreffen. Anfahrt ist über den Radweg am Ufer.»
    In der Fahrzeughalle warfen wir besagten Sack mit dem Überlebensanzug in die Mannschaftskabine und fuhren los. Während der Anfahrt friemelte sich Kevin in den Gummianzug, was in der Enge der Kabine und bei dem Geschaukel des Gefährts trotz meiner Unterstützung nicht so einfach war. Ich befestigte die Sicherheitsleine an dem Anzug, half Kevin in die Handschuhe und fingerte hektisch die Schwimmwesten aus dem Sack, da die Anfahrt nicht sonderlich lang war. Doch welche der Westen war jetzt die manuell auszulösende? Alle drei Westen waren rot, keine der Westen war mit dem besagten Hinweiszettel versehen, und das Kleingedruckte auf dem Etikett war im Halbdunkel der Kabine nicht so schnell zu entziffern. Aber dann sah ich an einer der Westen eine Reißleine. Dann wird das wohl die manuell auszulösende sein, dachte ich und legte Kevin, der sich in dem Anzug bewegte wie eine Raupe, die Weste an.
    Wir schlingerten mit dem Löschfahrzeug noch ein paar hundert Meter auf dem Radweg zwischen Flussufer und der Grünanlage entlang, bis wir die bei der Alarmierung genannte Brücke erreichten. Aufgeregte Passanten wiesen uns den Weg: «Ihr müsst noch weiter, der Mann ist abgetrieben! Etwa hundert Meter stromabwärts, bis kurz vor die Schleuse!» Sie zeigten den Radweg hinunter, der ein Stück weiter über eine schmale Brücke führte. Sehr schmal. Sie war nicht für das Befahren mit einem Lkw ausgelegt. Es war eigentlich nur ein Radweg, der über sie hinwegführte.
    Der Wachführer drehte sich zu Kevin und mir um: «Lauft ihr schon mal den Weg runter, wir fahren mit dem Bock am nächsten Querpfad auf die Straße und kommen von der anderen Seite.» Wir stiegen also aus, und das Löschfahrzeug quälte sich über den Verbindungsweg in Richtung Straße. Kevin watschelte im unförmigen roten Anzug in Einheitsgröße XXL wie ein Teletubby über die Brücke, und ich lief mit der Sicherungsleine, die an seinem Anzug befestigt war, wie ein Hundeführer neben ihm her. Einige Meter hinter der Brücke wiesen weitere Passanten über das Wasser: «Da drüben schwimmt er! Da!» In einem Strudel vor dem anderen Ufer sah man einen kahlen Kopf, der langsam im Kreis dümpelte. Der Mann, der dort trieb, war offensichtlich tot.
    Während das Löschfahrzeug heranrollte, suchten wir uns einen Weg durch das Ufergestrüpp, und gleich darauf ging Kevin ins Wasser. Doch er hatte noch keine drei Schwimmzüge gemacht, da war ein « PUFFFFF !» zu hören. Die Weste blies sich auf, und Kevins Gesicht sah zwischen den prallen Wülsten aus wie ein Hot Dog. «Scho’n Mischt! Dasch war die falsche Weschte», fluchte es aus dem gequetschten Antlitz. Verzweifelt strampelte er, um irgendwie in die Bauchlage zu kommen. Doch die Weste arbeitete ihrer Aufgabe entsprechend dagegen. Wer schon mal mit so einem Ding im Wasser war, der weiß, dass sie

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