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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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ungehalten: «Wäre das so einfach, wäre ich schon draußen. Aber das Ding ist elektrisch und funktioniert nicht.»
    Zwischenzeitlich trafen die Kollegen des Rettungsdiensts ein und stellten ihren Notfallkoffer und den Beatmungsrucksack ab.
    «Was ist denn los?», fragten sie.
    Betont gleichgültig blickte ich zum Fensterrollo, hinter dem der Eingeschlossene unentwegt lamentierte. «Die Tür ist weg», sagte ich. «Ihr wisst schon.» Die Kollegen zogen verständnislos die Augenbrauen hoch und schauten sich ratlos an. Ich freute mich über ihre verwirrten Gesichter: «Seht ihr, genauso blöd haben wir auch geschaut, als wir das hörten.»
    Die Rollläden waren laut Aussage der besorgten Nachbarn, die der Herr schon über Stunden verrückt gemacht hatte, tatsächlich elektrisch zu bedienen und somit nicht von außen hochzuschieben. Es sei denn, man würde sie zerstören.
    «Ich versuch mal, die Tür von der Bude, ohne sie zu demolieren, aufzukriegen», schlug Dieter vor, in der Hoffnung, dass das Türschloss nur eingeschnappt war. Fehlanzeige: Er fummelte ohne Erfolg am Türschlitz herum. «Mist, der Schapp ist zu eng. Da kommste nicht rein», ärgerte er sich.
    Dann testeten wir, ob wir den Schließzylinder mit unserem Werkzeug herausziehen konnten. So ein Zylinder mittlerer Sicherheitsstufe kostete weniger als ein elektrisches Rollo. Doch der Zylinder, der in dieser Wohnungstür verbaut wurde, war wohl besonders preisbewusst gewählt worden, denn er war butterweich: Beim Ziehen fing er zwar an sich zu verbiegen, so wie es sein sollte. Doch kurz bevor wir das Abreißen der vorderen Zylinderhälfte erwarteten, gab der Kern, also der Teil, in den man den Schlüssel steckt, nach und brach ohne den restlichen Zylinder heraus. Dieter bekam die Tür so nicht auf: Der Kern war weg und der Zylinder derart verbogen, dass der Schließmechanismus klemmte. «Mist!», fluchte er, während er mit Spitzzange und Schraubendreher im verbliebenen Loch herumstocherte. «Da wird das Ding auch noch porös! So kriegen wir es nicht raus!» Der Mann in der Wohnung rief unterdessen fast pausenlos: «Hallo? Können Sie mich hier rausholen? Bitte!»
    Da die Tür im Gegensatz zum Schließzylinder so stabil war, dass man mit dem Bohrhammer schneller durch die Hauswand gekommen wäre, als wenn man die Tür aufgebrochen hätte, entschied sich unser Wachführer dafür, das Kunststoffrollo mit ein wenig feuerwehrtechnischer Überzeugungsarbeit (Nicht-Feuerwehrleute sagen auch gern: Gewalt) gegen die Hebemechanik drücken zu lassen, bis die elektrotechnische Ingenieurskunst, vermutlich asiatischen Ursprungs, das Zeitliche segnete. Dieter und ich fassten also unten am Rollo an, ruckten es auf Kommando nach oben, und kleine Kunststoffteilchen rieselten aus dem Rollokasten herunter: Feuerwehr gegen Rollomotor: 1 : 0 .
    Das Bild, das sich uns bot, als wir den Rollladen hochgeschoben und verklemmt hatten, erinnerte mich an einen Verkaufsschalter. Hinter dem geöffneten Fenster des dunklen Badezimmers stand ein dickbäuchiger Mann im Schlafanzug wie in einem Kiosk. Allerdings nicht vor einem Regal voller Chipstüten und Zigaretten, sondern in der Badewanne, die sich direkt unter dem Fenster befand. Ich konnte mir gerade noch verkneifen zu sagen: «Zwei Schokoriegel und ein Feuerwehr-Magazin, bitte!»
    Der in der Wanne stehende Mann war heilfroh, als er uns sah. Dieter fragte fürsorglich: «Vatter, watt iss’n passiert? Machst ja ’nen Heiden-Bohei hier mitten inne Nacht. Klemmt die Tür oder haste den Schlüssel verbummelt?»
    «Stellen Sie sich vor, ich gehe auf Toilette und komme auf einmal nicht mehr da raus», klagte der alte Mann. «Die Tür ist weg! Stellen Sie sich das mal vor! Helfen Sie mir bitte raus. Wo bin ich eigentlich?»
    «In Ihrer Wohnung, im Bad», antwortete ich.
    Das schien ihm aber schon viel zu präzise zu sein, denn er fragte: «Und wo steht das Haus?»
    Dieter drehte sich zum Wachführer um und raunte ihm zu: «Okay, Chef, der hat nicht mehr alle Latten am Zaun. Zumindest nicht in der richtigen Reihenfolge.»
    Ich schob den Mann, der augenscheinlich zumindest physisch gesund war, mit sanftem Druck beiseite und stieg durchs Fenster zu ihm in die Wanne. Ich wollte nachprüfen, ob die Tür zum Bad vielleicht verklemmt war. Nachdem ich den Lichtschalter im Schein meiner Handlampe gefunden hatte, öffnete ich die Tür, die natürlich nicht einfach verschwunden war, problemlos: Sie war sogar nicht einmal abgeschlossen. Danach ging ich

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