112 - Der tägliche Wahnsinn
dafür gebaut ist, einen Ohnmächtigen in Rückenlage zu halten – und das auch sehr konsequent umsetzt.
Ich zog Kevin mit der Sicherungsleine ans Ufer und rief Dieter zu, er solle uns die richtige Weste aus dem im Löschfahrzeug liegenden Sack bringen. Augenblicklich sprang er ins Auto, kam mit einer Weste zurück und warf sie mir zu. Schnell entledigte sich Kevin der luftigen Würste und zog die neue Weste über, um einen zweiten Versuch zu starten. Doch gerade als er sich erneut in die Fluten stürzte und zum treibenden Leichnam hinüberschwimmen wollte, da … Erwähnte ich, dass in dem Sack zwei der drei Westen automatische waren? « PUFFFF !» Auch die zweite Weste presste Kevins zornesgerötete Wangen zusammen. Bingo, wieder die falsche.
«Maaaaan, dasch kann doch nisch wahr schein! Wasch isch dasch für ’n Scheisch!», platzte es aus Kevin heraus. Das Paddeln ging wieder los. So langsam wurde es peinlich, denn die mittlerweile zahlreich versammelten Passanten merkten natürlich, dass hier irgendetwas nicht so recht funktionierte, wie es eigentlich sollte. So zog ich den zappelnden Fisch im übergroßen Gummianzug nochmals an Land. Dieses Mal wartete Kevin aber nicht, bis die letzte (und dann mit Sicherheit auch richtige) Weste zum Ufer gebracht wurde, sondern ging ohne Lebensretter in den Fluss. Schließlich war es unwahrscheinlich, dass sich der Tote an seinen Hals klammern und ihn unter Wasser ziehen würde.
Mittlerweile war die Tauchergruppe mit ihrem Transporter eingetroffen, und die Taucher fingen an, sich auszurüsten. Kevin war jetzt am Wasserwirbel angekommen, in dem die Leiche gefangen war und langsam ihre Runden zog. Ein Strudel ist jedoch nicht zu unterschätzen. So wie der Tote nicht aus ihm hinausgetrieben wurde, schaffte es Kevin nicht, in ihn hineinzuschwimmen. Wild rudernd zappelte er am Rand der Strömung herum und wurde immer wieder abgetrieben, während in regelmäßigen Abständen der leblose Körper einen Meter vor seiner Nase, aber dennoch unerreichbar, vorbeikreiselte. Angesichts des Anzugs mit seinen angeschweißten Stiefeln, die den Träger beim Schwimmen noch zusätzlich behinderten, war ein Herankommen an den Toten einfach nicht möglich.
Gott sei Dank tauchte jetzt endlich das Feuerwehrboot auf, das dem traurigen Schauspiel ein Ende bereitete. Der schimpfende Kevin wurde von uns ans Ufer gezogen, die Kollegen im Boot bargen die fast nackte Leiche, sodass die Taucher am Ende nicht mehr einzugreifen brauchten. Fluchend eierte Kevin zum Löschfahrzeug und pellte sich aus dem Gummianzug. «Was war das gerade für einen Mist? Zweimal die falsche Weste! Seid ihr zu blöd, die Beschriftung zu lesen? Das kann doch nicht wahr sein. Da können wir nur hoffen, dass keiner der Passanten die Nummer mit dem Handy mitgefilmt hat.»
Ich durchsuchte den verbliebenen Inhalt des Sacks, der noch immer in der Kabine des Löschfahrzeugs stand. Nach kurzer Zeit fand ich das Schild, das uns den Einsatz erheblich erleichtert hätte. Der Zettel mit dem Hinweis «Manuelle Weste für den Anzugträger» war aus der Westenverpackung herausgerutscht und lag im Sack, zwischen Leinen und Helm. Na, da lag er gut.
Jenem Mann, der im Wasser gefunden wurde, war Folgendes passiert: Sein Kanu war an einer Bootsrutsche, die sich neben der Schleuse befand, um nicht jedes Schlauchboot schleusen zu müssen, abgetrieben worden. Daraufhin hatte er sich seiner Kleidung entledigt, um hinterherzuschwimmen. Wahrscheinlich bekam er während dieser Aktion einen Infarkt. Berechnete man die Zeit vom Entdecken des treibenden Körpers bis zu unserem Eintreffen am Ort, hätten wir, selbst wenn unser erster Rettungsversuch geklappt hätte, keine Chance gehabt, ihn erfolgreich zu reanimieren. Dämlich sah die Nummer mit den aufgepufften Halskrausen aber dennoch aus.
Zudem hatten wir später in der Atemschutzabteilung, in der die Westen gewartet werden, ein wenig Erklärungsnot, wieso wir von drei möglichen Westen gleich zweimal die verkehrte gewählt hätten. Dass so etwas in der Hektik und bei fehlender Beschriftung schon mal möglich ist, wollte unser Luftbevollmächtigter natürlich nicht gelten lassen. Es stehe schließlich auch auf dem Typenschild der Weste. Richtig. In etwa fünf Millimeter großen Buchstaben, zwischen vielen Typenbezeichnungen und sonstigen Hinweisen …
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Kapitel 18 Gefangen im Wurmloch
Die Feuerwehr wird oft gerufen, wenn eine Tür schnell geöffnet werden muss. Hierfür haben
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