1123 - Der Terror beginnt
dachte ich wieder an den verdammten Alptraum. Ich sah diese Gestalt durch den Nebel gehen und auch über die Bohlen des Stegs hinweg schreiten.
Dann sah ich auch das Gesicht des Unheimlichen.
Das Gesicht meines Vaters!
Ich stöhnte auf. Ich schüttelte den Kopf. Die verdammte Erinnerung quälte mich. Ich wollte einfach nicht wahrhaben, daß es mein toter Vater war, der mit einer Kettensäge bewaffnet durch die Nacht irrte. So etwas war einfach nicht zu fassen, aber sollte der Traum mir etwas vorgegaukelt haben?
Nein, das nicht. Manche Träume sind schon wahr, und ich wußte auch, daß mehr dahintersteckte, als ich bisher angenommen hatte. Hier braute sich etwas zusammen, dem ich einfach nicht entfliehen konnte. Es war in meiner Nähe, und es würde auch bis zum bitteren Ende bleiben.
Noch immer stand ich neben dem Bett. Nur mit der Hose bekleidet zu sein, gefiel mir gar nicht mehr. Auch die Nacht würde anders verlaufen, als sie bisher vergangen war. Es konnte sein, daß mir noch einiges bevorstand, und deshalb zog ich mich wieder bis auf die Schuhe an und legte mich normal ins Bett. Nur die dünne Lederjacke hatte ich über der Lehne hängen lassen.
Abermals lag ich auf dem Rücken und schaute gegen die Decke. Sie malte sich als viereckiger Himmel über meinem Kopf ab und in der Mitte klebte die helle Lampenschale. Das Licht im Vorflur hatte ich nicht ausgeschaltet. Es fiel wie ein Weichzeichner in meinen Raum hinein und verlief sich auf dem Teppich.
Natürlich dachte ich über den rätselhaften Anruf nach. Wer hatte mich da gewarnt? Wer hatte mich zugleich in einen gespannten Zustand gebracht? Ich dachte auch weiterhin über die Stimme nach, doch alles Grübeln hatte keinen Sinn. Sie war einfach zu neutral gewesen, um sie identifizieren zu können.
Ich wartete liegend ab. Natürlich dehnte sich die Zeit. Meine Nervosität steigerte sich.
Es hing auch mit der Warterei zusammen. Am liebsten wäre ich wieder eingeschlafen. Müde genug war ich schon. Doch die innere Unruhe war wesentlich stärker.
Ich verglich mich mit einem Menschen, der auf etwas wartet, aber nicht weiß, wann dieses Ereignis eintritt. Das wiederum steigerte meine Nervosität.
Ich wünschte mir einen erneuten Anruf. Ein längeres Gespräch, aus dem ich mehr erfahren konnte.
Aber meine Wünsche waren nicht wichtig. Die Regie führte jemand anderer.
Mein Vater?
Nein, verflucht. Das Kapitel war abgeschlossen, die Verbindung zu den Mitgliedern des Lalibela-Kreises gerissen. Dieser alte äthiopische König spielte keine Rolle mehr in meinem Leben. Ich wollte einfach, daß es abgeschlossen war. Dieses Kapitel sollte nicht mehr aufgeschlagen werden.
Abwarten. Darauf lauern, daß der Anruf ein Vorspiel gewesen war und das echte Stück noch begann.
Ich blieb auf dem Rücken liegen und blickte nach wie vor gegen die Decke. Ja, es fiel mir schwer, die Augen offenzuhalten, denn der Körper forderte sein Recht. Andererseits kam ich mir wie ein Hüter oder Wächter vor. Ich brauchte nur an das Ende meiner jeweiligen Alpträume zu denken. Da hatte ich das Blut gesehen, das den Nebel praktisch ausgefüllt hatte.
Blut war der Hinweis auf das Sterben und den Tod. Und das alles verbunden mit dem Schreien an der Hütte am See. Sie war nach wie vor mein Ziel, weil ich einfach glaubte, in ihr das Geheimnis lüften zu können.
Ich sah wieder auf die Uhr.
Es war erst eine Viertelstunde verstrichen. Die Zeit war mir mindestens doppelt so lang vorgekommen, und ich wußte auch, daß ich nicht mehr lange im Bett bleiben konnte.
Ich würde aufstehen und wandern. Nicht nur innerhalb des Zimmers, auch außerhalb. Das Hotel verlassen, es umkreisen, denn der Nebel draußen war mit dem in meinen Alpträumen zu vergleichen. Ebenso grau, ebenso dick, so undurchdringlich.
Er war dann gekommen und hatte den Schutz der grauen Schwaden geschickt ausgenutzt.
Von nebenan hörte ich nichts. Nora schlief wohl ruhig und fest.
Ich richtete mich wieder auf. Es machte für mich keinen Sinn, noch länger im Bett zu bleiben. Da fühlte ich mich alles andere als wohl in meiner Haut. Ich mußte mich einfach bewegen und hoffte dabei, meiner Unruhe zu entkommen.
Als ich neben dem Bett stand und daran dachte, das Zimmer zu verlassen, da trat das ein, worauf ich fast schon gewartet hatte.
Das Geräusch war da!
Dieses schrille und zugleich auch dumpfe Kreischen der verdammten Kettensäge, die unterwegs war, um ein Ziel zu finden. Ich sah sie nicht, ich sah auch nicht ihren
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