1129 - Das Blutmesser
können.«
Damit lag sie nicht falsch. Ich hatte es ebenfalls noch nicht gesehen und erst als ich mich drehte und genau dort hinschaute, da fiel mir das dunkle Gefäß auf, das an eine Vase mit einem Deckel darauf erinnerte.
»Bin ich jetzt eine Verbrecherin, weil ich es getan habe, John? Du bist doch Polizist und müßtest es mir sagen können.«
»Nein, das bist du natürlich nicht, Michelle. Aber es ist schon ungewöhnlich.«
»Wir haben uns sehr gemocht«, sagte sie leise. »Wobei ich ihm immer mehr geholfen habe als er mir. Aber ich war auch nicht so sensibel wie er. Einmal, es war kurz vor seinem Selbstmord, da hat er mir gesagt, daß uns auch der Tod nicht trennen könnte. Ich habe es damals nicht geglaubt. Heute sehe ich es anders. Komisch, nicht?«
»Ja, es ist schon ungewöhnlich. Und die Stimmen haben dich erst nach dem Ableben deines Bruders gerufen und dich gelockt?«
»Sicher.«
»Hast du auch eine Stimme erkannt?«
»Nein. Meinen Bruder habe ich nicht herausgehört. Aber ich weiß, daß er nicht völlig gegangen ist. Die Verbindung zwischen uns besteht. Er hat sogar sein Messer mit in seine Welt genommen. Es ist nämlich nie mehr gefunden worden. Nun weiß ich, wo es sich befindet. Wir haben damals viel gemeinsam unternommen. In den Tod ist Alain allein gegangen. Nun will er mich nachholen.«
»Ja«, bestätigte ich. »Deine Erklärung akzeptiere ich, Michelle. So etwas ist möglich oder kann möglich sein. Du wirst auch nicht hören, daß ich dich auslache oder an deinen Worten zweifle. Mit Logik kommen wir hier nicht weiter. Wir müssen uns den Tatsachen stellen und das Beste daraus machen. Ich kann mir sogar denken, daß heute der Tag ist, an dem er dich zu sich holen will. Er hat dieses Wochenende als deine Todeszeit ausgesucht. Er kann auch im Jenseits nicht allein bleiben. Er will dich bei sich haben.«
»Aber was ist das Jenseits?« rief sie.
»Ich weiß es nicht. Ich kann nur raten wie andere auch. Es ist vielschichtig, denke ich, und es ist so, daß wir es uns kaum vorstellen können.«
Vielleicht ist es auch in mehrere »Ebenen unterteilt. Ob es von dieser unserer Welt einen Weg ins Jenseits gibt, ohne zu sterben, weiß ich nicht, aber umgekehrt scheint es der Fall zu sein. Nur ist das auch nicht die Regel. Da muß es immer etwas geben, das für den entsprechenden Anstoß gesorgt hat.«
»Ich kann dir da nicht helfen.«
»Dein Bruder wußte es. Hat er denn niemals mit dir über die Zeit nach seinem Tod gesprochen?«
»Nein, nicht direkt. Er war nur sicher, daß es ihm gutgehen würde. Ich habe ihn mal gefragt, woher er das Wissen so einfach nahm. Da hat er nur gelacht und gemeint, daß es viele Kanäle zwischen dem Diesseits und dem Jenseits gibt. Man muß nur eben den richtigen Blick dafür haben. Das war bei ihm wohl der Fall.«
So sah ich das inzwischen auch. Er hatte den Blick gehabt. Alain hatte den Weg gefunden, aber es war keiner, den ich nachvollziehen konnte.
Er war anders, er stand auf der gegensätzlichen Seite, denn sonst hätte mein Kreuz nicht reagiert. Wahrscheinlich hatte sich Alain schon vor seinem Tod mit einer anderen und gefährlichen Macht verbündet.
»Woran denkst du, John?« fragte Michelle leise. Ihr war mein nachdenklicher Gesichtsausdruck aufgefallen.
»An deinen Bruder.«
»Ja, das dachte ich mir. Und weiter?«
»Auch daran, ob er schon zu seinen Lebzeiten Kontakt mit der anderen Welt gehabt hat.«
Für einen Moment weiteten sich ihre Augen. »Das meinst du doch nicht im Ernst?«
»Ja, schon. Und du müßtest es wissen, wenn ihr euch so gut verstanden habt.«
»Über das Jenseits direkt haben wir nie gesprochen. Das kann ich schwören.«
»So war meine Frage auch nicht gemeint, Michelle. Kann es denn sein, daß ihr über Wege diskutiert habt, die hin zum Jenseits führen? Ist das möglich?«
Sie schaute auf ihre Oberschenkel.
»Wir haben oft über verschiedene Dinge und Phänomene geredet, das stimmt. Alain stand dabei nie so recht mit den Beinen auf dem Boden der Tatsachen. Er sah die Dinge immer anders, und er wollte auch hinter sie schauen.«
»Bitte konkreter, Michelle. Du mußt nachdenken, ob er sich detaillierteer damit beschäftigt hat. Ich denke da an die Gestalten mit den spitzen Hüten. Hat er schon vor seinem Tod davon gesprochen?«
Ich hatte ins Schwarze getroffen. Michelle nickte heftig. »Ja, ja, jetzt wo du es sagst, fällt es mir wieder ein.« Michelle war aufgeregt und konnte zunächst nicht weitersprechen. »Was sagte
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