116 - Der Mitternachtsteufel
Wahrheit indessen zutage. Vozu wollte die Menschen aber völlig zu den dämonischen Wesen machen, die sie jetzt schon verkörperten. Er plante noch einige Experimente mit ihnen, wollte sie bis zur letzten Konsequenz treiben. Er dirigierte sie, und sie wußten es. Sie hatten mehrfach gesagt, daß Vozu sie geweckt hätte - also auf dieser Welt zum Leben erweckt - und sie seine Diener und Sklaven wären.
Der Januskopf lachte höhnisch, aber dann wurde er wieder ernst. Jetzt war Phillip gekommen, der Hermaphrodit, dieses seltsame Wesen, aus dem Vozu nicht klug wurde. Und der Zyklopenjunge war da, der auch nicht ohne war und mit Phillip in einer paranormalen Beziehung stand.
Vozu hatte vorgehabt, die beiden als Katalysatoren zu benutzen. Aber des war nicht so einfach, wie er anfangs geglaubt hatte. Sein Versuch, auf das Bewußtsein des parapsychisch begabten Tirso einzuwirken und ihn zu einem Dämon wie die Dorfbewohner zu machen, war fehlgeschlagen. Warum, das wußte der Januskopf nicht. Phillip mußte dahinterstecken. Und Phillip entzog sich völlig Vozus Kontrolle.
Vozu hatte geglaubt, Phillips Magie sei einfach, als er ihn in Akademgorodok getroffen hatte. Aber jetzt erkannte er, daß er von Phillips Magie, wenn seine Fähigkeiten überhaupt als eine solche bezeichnet werden konnten, gar nichts wußte. Keine der Regeln, die er gelernt hatte, traf auf Phillip zu. Noch nie hatte sich Vozu in einem Wesen - Januskopf, Mensch, Dämon oder Ungeheuer - so getäuscht. Phillip konnte ihm gefährlich werden. Das wußte er jetzt. Er mußte weg, zusammen mit Tirso; auch Abi Flindt verschwand besser; und möglichst noch Kiwibin, der so schlau und ränkevoll war, daß er um sechs Ecken denken konnte und vielleicht doch noch auf die Wahrheit kommen würde.
Vozu dachte sich, daß der Tod dieser vier zugleich auch die Entscheidung bringen konnte. Wenn sie starben, würden die Einwohnern von Dscheskajan, die Dämonen verkörperten, auch körperlich zu solchen werden. Der Januskopf wußte schon, wie er das anstellen wollte. Ein wenig Zeit würde er sich noch lassen. Der Tod Phillip , Tirsos, Abi Flindts und Kiwibins würde so einen doppelten Zweck erfüllen.
Vozu spürte eine teuflische Vorfreude. Er hatte lange nachgedacht.
Der Tag hatte schon begonnen, wenn es auch draußen dunkel war. Im Dorf krähten die Hähne.
Bald war es an der Zeit, die Gestalt des Menschen wieder anzunehmen, den Vozu verkörperte, die verhaßte und doch so nötige Maske anzulegen. Dann würde das knöcherne und böse Gesicht sich wieder nach hinten drehen und magisch getarnt verschwinden.
Vozu wußte, daß noch keiner die Wahrheit erkannt hatte; und wenn sie sie je erkannten, würde es zu spät sein.
Am Vortag hatte sich nach dem Experiment mit allen Dorfbewohnern auf dem Dorfplatz nichts mehr ereignet. Die Herren Parapsychologen hatten in der Forschungsstation akademische Debatten geführt. Ich war am Nachmittag mit Tirso ein wenig spazierengegangen. Phillip war in seinem Quartier geblieben. Das Barackenlager durften wir nicht verlassen. Die meiste Zeit des Tages hockten wir in der Baracke oder in der Kantine herum und warteten darauf, was die gelehrten Parapsychologen ausbrüten würden. Sicher waren sie bekannte Wissenschaftler, und sicher besaßen sie große Kenntnisse; aber ich hätte gern einmal gesehen, wie sie sich benehmen würden, wäre ein Vampir oder ein Werwolf auf sie losgegangen; oder eine andere Kreatur der Nacht.
Mit den sechs Dorfbewohnern, die in der Baracke interniert waren, durfte ich nicht sprechen. Die Posten schickten mich fort, als ich versuchte, mit Nelja zu reden.
In der Nacht schnarchte Kiwibin wieder wie ein Bär im Winterschlaf. Am Morgen weckte mich lautes Geschrei. Die Milizsoldaten brüllten durcheinander, liefen hin und her. Es wurden sogar ein paar Feuerstöße in die Luft abgefeuert.
Ich sprang aus dem Bett und riß das mit einer dicken Reifschicht bedeckte Fenster auf.
Kiwibin hüpfte aus der oberen Koje, anzusehen wie ein Waldschrat mit seinem wirren Haar, dem zerzausten Vollbart und den verquollenen Augen.
Wir schauten aus dem Fenster. Die Milizsoldaten gebärdeten sich wie Irre. Kiwibin fragte sie auf russisch, was zum Teufel denn eigentlich los wäre.
Er erfuhr es und wurde bleich. Zwei Leichname waren gefunden worden, Milizsoldaten, die Wache gestanden hatten. Sie waren gräßlich zugerichtet.
Eilig zogen wir uns an und verließen die Baracke, nachdem ich Tirso beruhigt hatte. Draußen dämmerte es. Wir
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