1177 - Der Weg in die Unterwelt
einigen Versuchen klappte es besser, und so schaukelten und schwammen wir auf die Mitte des Sees zu. Die Nebelwolke ließen wir dabei nicht aus den Augen, denn sie veränderte sich ständig.
Sie wuchs!
Manchmal glich sie einem Ballon, der aufgeblasen wurde. Sie wurde nicht unbedingt sehr viel größer, aber sie blähte sich auf und nahm mehr Raum ein. Außerdem hob sie sich von der übrigen Dämmerung sehr gut ab, sodass wir sie gar nicht verfehlen konnten.
Immer wenn ich die Stange ins Wasser stakte und sie gegen den Grund drückte, bekam der Nachen mehr Fahrt. Er schaukelte auch heftiger, aber es waren bei ihm stets sehr träge Bewegungen. Wir brauchten auch keine Angst davor zu haben, ins Kentern zu geraten.
Bill lag nicht mehr. Er kniete jetzt. Ich schaute auf seinen Rücken. Mein Freund war auf die Nebelwolke ebenso gespannt wie ich. Beide gingen wir davon aus, dass dieser unnatürliche Nebel ein Geheimnis verbarg. Er wanderte nicht weiter, sondern blieb auf der Stelle stehen. Aber er veränderte seine Form und zog sich Stück für Stück in die Breite, als sollte er eine Mauer oder eine Trennlinie mitten auf dem See bilden.
Bill winkte und schnickte mit den Fingern. »Hat Melody nicht von einer Nebelmauer gesprochen?«
»Hat sie.«
»Und das wird eintreten.«
Die Mauer bildete sich rechts von uns. Ich musste dem Nachen den nötigen Drall geben, damit wir auf das Gebilde zutreiben konnten. Es war nicht leicht. Ich hörte mir wieder Bills Beschwerden an, aber schließlich hatte ich das schwerfällige Fahrzeug gedreht, sodass wir genau auf den Nebel zutrieben.
In ihm arbeitete es. Für uns, die Beobachter, schien er zu einem lebendigen Geschöpf geworden zu sein. In ihm wallte und quirlte es. Immer neue Figuren entstanden, die wenig später wieder verschwanden oder sich zu anderen entwickelten.
Er schob sich quer über den See. Er schien am Wasser festzukleben, und wir sahen nicht, was sich hinter, ihm befand.
Allerdings strahlte er etwas ab, das uns erst jetzt auffiel, als wir näher an ihn herangekommen waren. Es war eine ungewöhnliche Kälte, die nichts Natürliches an sich hatte. Sie war auf keinen Fall wetterabhängig und wurde von der »anderen« Seite hergeschafft. Aus der Unterwelt, aus einer kalten Hölle womöglich. Es war zudem auch eine Kälte, die uns nicht unbekannt war, denn so etwas wie sie strömte nur aus dem Totenreich hervor.
Über die Schulter sprach Bill mich an. »Ich habe allmählich das Gefühl, dass es hier für uns gefährlich wird.«
»Nicht nur du hast es.«
»Das beruhigt mich kaum. Was willst du tun? Direkt in den Nebel reinfahren?«
»Nein!«
Nach dieser Antwort zog ich die Stange aus dem Wasser und legte sie flach auf den Nachenboden.
Wir wurden noch weiter in die entsprechende Richtung geschoben, aber nicht mehr so schnell. Jetzt rollten wir träger näher, begleitet vom Klatschen der Wellen, die immer wieder gegen die niedrige Bordwand platschten.
Dort, wo sich die graue Suppe befand, waren so gut wie keine Wellen zu sehen. Da lag die Oberfläche beinahe eben und wurde nur leicht gekräuselt.
Es gab den Nebel auch nur an dieser einen Stelle. Alles andere war völlig frei. Das galt für das Wasser ebenso wie für die Regionen am nahen Ufer.
Unser Nachen kam zur Ruhe. Allerdings schaukelte er noch leicht und drehte sich auf der Stelle nach rechts, steuerbord, hin.
Um ihn in Position zu halten, setzte ich hin und wieder die Stange ein, was auch Freund Bill zufrieden stellte. Danach meinte er: »Es tut sich wirklich nichts.«
»Noch nicht…«
»Vielleicht erst gegen Mitternacht.«
»Das glaube ich nicht.«
»Okay. Und näher heran willst du auch nicht?«
»Nein. Vielleicht später.«
Bill kniete noch immer, ich stand. Es war wirklich eine spannende Situation entstanden, obwohl nichts passierte. Wir standen fast auf dem Wasser und lauerten darauf, dass sich endlich etwas ereignete.
Man konnte nicht sagen, dass der Nebel sich noch stärker verdichtete, obwohl in seinem Innern noch keine Ruhe eingekehrt war. Nach wie vor bewegten sich die Wolken und waren dabei, immer neue Gebilde zu erschaffen.
Plötzlich sagte Bill etwas, was mich aus meinen Gedanken riss.
»Er wird dünner, glaube ich!«
Ich schaute sofort hin.
Nein - oder doch?
Zumindest blieb der Nebel weiterhin in Bewegung. Aber es passierte noch mehr mit ihm. Ob er nun ausdünnte oder nicht, das war nicht so genau zu erkennen, wir sahen nur etwas in ihm. Es hatte sich ein Umriss in die kalte
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