1185 - Im Schloss der Skelette
nicht?«
»So kann man es sehen.«
»Kannst du sie trotzdem beschreiben?«
»Es war schwach…«
»Ungefähr!«, drängte ich ihn.
Der Abbé schüttelte den Kopf. Manchmal konnte er richtig stur sein, aber es gab einen Grund, und der leuchtete mir ein, als er ihn aussprach.
»Wir können es mit dem Würfel versuchen«, sagte er mit leiser Stimme.
Ich riss überrascht die Augen auf. »Jetzt und hier?«
Der Abbé schaute sich um. »Daran habe ich schon gedacht«, gab er zu. »Es ist recht ruhig hier. Man beobachtet uns nicht, so haben wir die Ruhe.«
»Gern.«
Bloch lächelte verschmitzt. Er war doch ein alter Fuchs, dem man so leicht nichts vormachen konnte. Um völlig sicher vor Blicken zu sein, drehte er den Stuhl noch herum, damit er auch geradeaus durch die Scheibe schauen konnte und von nichts anderem abgelenkt wurde. Er sah den Bach, er sah die Fassaden der Fachwerkhäuser an der gegenüberliegenden Wasserseite und die sperrigen Büsche, die am Ufer wuchsen. Zugleich holte er unter seiner dunklen Jacke einen Würfel hervor, der größer war als normale, aber nicht so groß, als dass er ihn nicht hätte an seinem Körper tragen können.
Behutsam stellte er ihn auf den Tisch, sodass ich ihn von der Seite her sehen konnte.
Es war der Würfel des Heils. Es gab noch einen zweiten, und der hieß der Würfel des Unheils. Der negative befand sich in den Händen des Spuks und war so etwas wie die Büchse der Pandora, die aus ihr das Unheil über die Welt gekippt hatte.
Der Spuk war dazu nicht mehr gekommen. Er hatte seine Meinung geändert, denn manchmal waren meine Feinde auch die seinigen. Wir jedenfalls waren froh, dass sich beide Würfel in ihrer Wirkung neutralisierten. So war es zu einem Patt gekommen. Der Spuk griff nicht ein, wenn wir ihn benutzten.
Der Würfel schimmerte Rot bis Violett. Es befanden sich keine Zahlen darauf. All seine Flächen waren glatt, aber die wahre Kraft steckte in seinem Innern. Der Besitzer des Würfels war durch ihn in der Lage, Kontakt mit Vorgängen aufzunehmen, die sich im nicht sichtbaren Bereich abspielten, weil sie einfach räumlich voneinander getrennt lagen.
Wie auch jetzt.
Ich ließ den Abbé in Ruhe. Wie ein Denkmal aus Stein saß er auf seinem Platz und hatte seine Hände ausgestreckt. Sie lagen an zwei verschiedenen Seiten des Würfels. Nicht unbedingt fest, er hatte sie nur leicht dagegen gedrückt.
Dann schloss er die Augen.
Auch die Frauen am Nachbartisch waren plötzlich ruhig. Es lag nicht an uns. Sie waren einfach satt und mussten sich von dem tollen Essen erholen.
Der Abbé senkte den Kopf. Ich wusste, dass er körperlich noch bei mir, doch geistig in eine andere Welt abgetaucht war, in der Zeit und Raum kaum eine Rolle spielten.
Für uns begann die Zeit der Spannung und des Wartens. Sie dauerte nicht mal lange an. Vielleicht zwei, drei Minuten höchste Konzentration, dann »meldete« sich der Würfel…
***
Claudine Gatz war alles andere als eine feige Person. Die dunkelhaarige Frau hatte sich auch deshalb in die Einsamkeit der Landschaft zurückgezogen, weil sie gern allein war und auch gern allein arbeitete. Sie übte den Beruf einer Schriftstellerin aus, die Romane und Geschichten schrieb über Themen, die sich mit Gott und der Welt auseinandersetzten, aber alle den Bereich der Natur nicht verließen. Claudine versuchte, den Einklang zu finden, den es einfach zwischen Mensch und Natur geben musste. Er war den Menschen nur verloren gegangen.
Sie hatte zwar schon einige Bücher über das Seelenheil veröffentlicht, leben konnte sie jedoch davon nicht. Und so schrieb sie Artikel für Zeitungen und auch Drehbücher für das Kinder-Fernsehen, alles Geschichten, in denen die Natur eine wichtige Rolle spielte.
In der letzten Zeit aber hatte Claudine ein neues Thema gefunden. Es war die Gegend, in der sie lebte. Nicht die sichtbare, sondern die Welt, die bereits im Dunkel der Geschichte verschwunden war. Bei ihren einsamen Wanderungen war sie auf eine Ruine gestoßen, von deren Düsternis sie sich abgestoßen gefühlt hatte, wobei zugleich ihr Interesse geweckt worden war.
Sie hatte sich in den umliegenden Orten nach der alten Ruine erkundigt und wusste nun, dass sie Schloss genannt wurde. Mehr jedoch nicht. Nur »Schloss«, was sie wiederum wunderte.
Sie schüttelte immer wieder den Kopf, wenn sie sich an die Gespräche mit den Menschen erinnerte.
Ihr war es so vorgekommen, als hätte es eine Barriere gegeben, wenn ein bestimmtes Thema zur
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